Stummfilm-Klassiker mit Live-Musik zum Kellerkino-Geburtstag am 3. Dezember: Der Cellist Cornelius Reinsberg über die Filmmusik vor 100 Jahren und heute
Es ist der dritte Anlauf: Am Freitag, 3. Dezember, holt das Kellerkino endlich seinen 45. Geburtstag nach – der eigentlich im April 2020 war, aber zweimal einem Lockdown zum Opfer fiel. Zur Feier des Tages gibt es Robert Wienes Stummfilm-Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit Livemusik durch den Cellisten Cornelius Reinsberg.
Wie sind Sie dazu gekommen, zu Stummfilmen zu musizieren?
Während meiner Schulzeit am Gymnasium Andreanum war ich an einem Multimedia-Projekt beteiligt, bei dem selbstgedrehte kurze Stummfilme mit Live-Musik untermalt wurden. Und dann habe ich mal mit dem Landesjugendorchester Bremen – das ist auch schon etwas her – bei den German Game Music Awards mitgespielt.
Was es alles gibt!
Ja, das ist eine ganz spezielle Sache. Da gab es einen Wettbewerb für Komponistinnen und Komponisten, um Musik für Computerspiel-Trailer zu schreiben. Das ist natürlich nicht dasselbe wie ein Stummfilm, aber im Endeffekt ist es dasselbe Verfahren: Man hat einen Film vorgeführt, und wir haben die Musik dazu gespielt. Ansonsten bin ich begeisterter Stummfilm-Gucker, am liebsten live mit einem Musiker, der frei improvisiert zu dem, was man auf der Leinwand sieht.
Bereits die erste öffentliche Filmvorstellung 1895 in Paris wurde von einem Pianisten begleitet. Was ist für einen Musiker reizvoll daran, live zu spielen und doch nur Begleitmusik zu liefern?
So neu ist das Verfahren dann ja doch wieder nicht. Da könnten wir noch weiter zurückgehen, von mir aus bis in die Antike – dass jemand etwas vorführt und dazu Musik als gestalterisches Element hineinwirkt. Das ist toll, weil die Musik im besten Fall nicht nur oben drauf geklatscht ist, sondern sich sinnvoll einfügt und die künstlerische Aussage verstärkt.
Was heißt das konkret im Film?
Dass die Musik nicht einfach nur ab- und nachbilden sollte, was man sieht, sondern herausarbeitet, was in bestimmten Situationen besonders spannend ist.
Dafür müssen Sie einen Film sehr gut kennen, nicht wahr? Im Kino weiß man oft vorher, dass gleich etwas passiert, weil die Musik es schon ankündigt.
Das ist gängig, dass die Musik etwas voraus deutet. Es kann aber auch so sein, dass das Publikum überrumpelt wird. Aber ja, gerade, wenn es so eine One-Man-Show ist wie in meinem Fall, bin ich natürlich gefragt, zu wissen, was als nächstes passiert. Um eine Orientierung zu haben, wie ich das Ganze dramaturgisch gestalte. Dabei hilft auch, dass gerade diese frühen Filme sehr vom Theater her kommen.
Inwiefern?
Der Caligari ist zum Beispiel in Akte unterteilt, da kann man schöne Kontraste aufmachen. Außerdem sind die Schnitte nicht so arg schnell. So kann ich mich ein bisschen mehr ausbreiten und muss nicht von Einstellung zu Einstellung hetzen. Das ist ein Kino, das durchaus in den Bann schlagen kann und das Publikum verführt, aber es ist noch nicht die Überwältigungskunst, die wir später haben – und die heute mit technischen Möglichkeiten aller Art nochmals verstärkt wird. Im Stummfilm versucht das Kino nicht, wirklicher als die Wirklichkeit zu sein.
Verwenden Sie Versatzstücke von Beethoven, Grieg, Rossini oder Wagner, wie es die Kino-Musiker in der Stummfilmzeit gerne getan haben, oder improvisieren Sie?
Ich werde kein Potpourri der Klassik-Weltstars anbieten. Tatsächlich werde ich im Wesentlichen Eigenes spielen, teils improvisiert, teils vorkonzipiert. Ich habe kein Notenblatt da stehen, aber ich habe eine Vorstellung von der Atmosphäre, die ich herstellen möchte. Es wird zwei Vorstellungen geben, und das werden keine eineiigen Zwillinge sein, sondern zwei verschiedene Caligaris.
„Das Cabinet des Dr. Caligari“ gilt als ein Meilenstein der Filmgeschichte. Was macht den Film in ihren Augen so besonders?
Es war ein Film, der durch diese bahnbrechende Bühnenanlage und durch die am Expressionismus geschulte Bildästhetik Furore gemacht hat. Das ist nach wie vor stark und faszinierend.
Entstanden ist er in der Hochphase des Stummfilms. Damals leisteten sich edle Filmpaläste ganze Orchester, um die Bilder zu untermalen – bis zu 60 Musiker.
Die haben natürlich nicht improvisiert. Gerade bei den Klassikern wie den Lang-Filmen, „Die Nibelungen“ oder „Metropolis“, gab es eine auskomponierte Musik. Sie war allerdings stark dem Spätromantischen verhaftet, ich sage mal: Wagner plus. Was natürlich eine ganz tolle Wirkung haben kann…
…und auch heute noch viel eingesetzt wird.
Ja. Ich werde aber einen anderen Weg gehen, einen schlankeren Klang haben und mit verschiedenen Instrumenten arbeiten. Welche, verrate ich noch nicht.
Wie empfinden Sie die Musik im heutigen Kino?
Da bin ich mit gemischten Gefühlen dabei. Es ist halt meistens keine Musik, die ohne Bilder funktionieren würde. Ärgerlich finde ist es, wenn ich das Gefühl bekomme, dass mir ein Komponist oder eine Komponistin sagen will, was ich zu fühlen habe: Jetzt bitte große romantische Gefühle! Oder: Sei traurig! Dann fühle ich mich als Zuschauer nicht ernst genommen.
Ist das im Kino nicht das Normale?
Es ist gängig. Aber es gibt auch Filme, die anders sind.
Die zum Beispiel Kellerkino zeigt. Sind Sie Kellerkino-Besucher gewesen, als Sie noch in Hildesheim gelebt haben?
Ja, im Nachhinein allerdings weniger, als mir lieb wäre. Ich war auch schon bei einem früheren Jubiläum, 2011, da hatten sie „Metropolis“, auch mit Live-Musik.
Welchen Stellenwert hat das Kellerkino Ihrer Meinung nach für die Hildesheimer Kulturszene?
In Heidelberg haben wir zwei Programmkinos, wo man täglich mehrere Filme anschauen kann, bei denen es nicht darum geht, was Kasse macht. In Hildesheim gibt es nichts Vergleichbares. Ich kann nur hoffen, dass das Kellerkino seine Arbeit so fortsetzen kann und dass die Leute das wertschätzen.
Das „Das Cabinet des Dr. Caligari“ wird am 3. Dezember um 16.30 und 19.30 Uhr im Riedelsaal der Volkshochschule (Pfaffenstieg 4-5) gezeigt. Im November 2020 gekaufte Karten sind noch gültig, es gibt auch noch Karten an der Tageskasse.
Text und Foto: Archiv der Hildesheimer Zeitung 26. November 2021