Der Abend ist immer noch sehr warm an diesem Donnerstag, aber der Schatten senkt sich langsam auf den Sportplatz, die Popcorn-Maschine läuft, Getränke stehen bereit, wir nehmen Platz auf Stühlen und umfunktionierten Staukissen für Lastwagenladungen (tolle Idee!), und blaue Scheinwerfer (Leitung Technik: Piet Hannig)  lassen den Schauplatz erahnen: Die Atmosphäre stimmt schon mal -  die erste Theater-AG Produktion am Andreanum seit Beginn der Pandemie kann beginnen!

Carmen Grünwald-Waack hat sich mit ihrer kleinen AG (sechs Darstellende) Slawomir Mrozeks Ein-Akt-Komödie „Auf hoher See“ vorgenommen, in dem vier hungernde Schiffbrüchige auf ihrem Floß ausdiskutieren, wer von ihnen verspeist werden soll. Also sucht man nach einvernehmlichen Verfahren und Auswahlkriterien (Wählen? Losen? Freiwillige?), dabei wird argumentiert, schwadroniert, manipuliert, gelogen, gejammert, unterstellt - die grauenvolle Entscheidung zum Kannibalismus aber wird nie in Frage gestellt: Eine*r muss gegessen werden! Alle wollen ihre Haut retten – und alle haben immer groteskere Argumente, warum nicht sie geopfert werden dürfen.

Die böse Parabel auf die Fragilität menschlicher Werte (nicht nur) unter den Bedingungen einer Krise bringt die Theater-AG auf den Sportplatz, der sich als perfekte Bühne (und Meer) erweist. Als Floß dienen Euro-Paletten, die mit maritimer Musikuntermalung auf einem Lifter von jeweils einem Darstellenden weitergeschoben werden. Unterbrochen und vorangetrieben wird der Entscheidungsprozess, wer denn nun verspeist werden soll, durch eine weitere Schiffbrüchige (Mia Neumann) und, schön absurd, eine Briefträgerin (Johanna Kunze) mit Schwimmflossen und einem Eimer Wasser, den sie sich über den Kopf kippt.

Die vier Figuren auf dem Floß sind stark typisiert: Da ist der Macher und Manipulator (sehr komisch: Nick-Jalen Henker), der Sanfte, Manipulierbare (anrührend: Arne Wiermann), die politisch Bewegte (kratzbürstig: Eva Antonia Kinder) und die Dreiste (schön ungerührt letzte Essenreste vertilgend: Juliane Geißler). Zwischen den Vieren entwickelt sich eine Dynamik, die auf die zynische „Lösung“ und die Aufgabe jeglicher Werte zustrebt - und das ist tatsächlich auch komisch.

Zwei Darstellerinnen dürfen in herrlich bizarren Kostümen  (Echsenkopf!) auf den großen Kontext verweisen: Dem Zynismus der Figuren auf dem Floß wird derjenige der Menschheit im Umgang mit unserem Planeten gegenübergestellt. Ob einer von den anderen verspeist wird, ist angesichts der globalen Vernichtung von Leben eben auch nicht mehr tragisch.

Der Abend überzeugte durch die Spielfreude der Darstellenden und die originellen Regie- und Ausstattungsideen.
Vielen Dank für einen sehr kurzweiligen, grotesk-komischen und nach-denklichen Theaterabend!

Carina Heidkamp

 

 

 

 

 

 

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