Wie andere Hildesheimer Gymnasien hatte auch das Andreanum jüdische Schüler. Welchen Lebensweg haben diese Jugendlichen nach dem Schulbesuch eingeschlagen? Wie ist es ihnen in der NS-Zeit ergangen? Konnten sie emigrieren und überlebten? Oder blieben sie in Deutschland und wurden dann deportiert und ermordet? Schülerinnen und Schüler haben sich im Rahmen eines Seminarfachs im Schuljahr 2019/2020 konkret mit jüdischen Mitschülern beschäftigt, die Opfer des Holocaust wurden. Dazu recherchierten sie in Schulakten und anderen Dokumenten im Stadtarchiv Hildesheim.

Sie nutzten Online-Datenbanken des Bundesarchivs sowie der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem und nahmen Kontakt zu Standes- und Meldeämtern sowie weiteren Archiven auf.

Akten zu Entschädigungs- und Wiedergutmachungsverfahren, die von überlebenden Angehörigen nach Kriegsende angestoßen wurden, enthielten weitere Hinweise zu den Lebenswegen der jüdischen Andreaner. Teilweise gelang es auch, Werdegänge von Angehörigen und Nachkommen der Opfer nachzuzeichnen.

Aus diesen umfangreichen Recherchen entstanden Facharbeiten, die die Lebensläufe von der Geburt bis zum Tod eindrücklich dokumentieren. Hier sind diese Biografien in einer Kurzfassung nachzulesen.Die Teilnehmer*innen des Seminarfachs setzen sich darüber hinaus dafür ein, dass auch vor dem Andreanum Stolpersteine für die ehemaligen Mitschüler verlegt werden. Diese Verlegung ist für das Frühjahr 2021 geplant.

Astrid Buhrmester-Rischmüller

Und hier die Ergebnisse der Schüler*innen:


Hans Dammann

Hans Dammann wurde am 7. Juli 1902 um 13 Uhr in Bad Salzdetfurth als jüngstes Kind seiner Eltern, Bertha und Hermann Dammann, geboren. Seine Kindheit verbrachte er mit seinen sieben Geschwistern im Wohnhaus der Familie in der Unterstraße 64. In dem Haus befand sich auch das eigene Geschäft der Familie, in welchem der Kaufmann Hermann Dammann Stoffe und Manufakturwaren verkaufte. Der Vater, um 1850 in Gronau geboren, war ein im Ort angesehener Geschäftsmann und Ratsherr, bis er 1943 im hohen Alter in Bad Salzdetfurth starb. Das Haus der Familie ist auch heute noch in Bad Salzdetfurth fast unverändert vorzufinden. 

Seine Schulzeit verbrachte Hans Dammann am Gymnasium Andreanum in Hildesheim, welches er von Ostern 1913 bis zum 3. März 1921 besuchte. Dort war er ein eher durchschnittlicher Schüler, der den Unterricht regelmäßig besuchte und sowohl die sprachlichen Fächer als auch den naturwissenschaftlichen Unterricht mit genügenden Leistungen absolvierte. Da der Wohnort von Hans Dammann etwa zwanzig Kilometer vom Gymnasium Andreanum entfernt lag, fuhr er vermutlich jeden Tag mit der Eisenbahn zur Schule und zurück. 

Hans Dammann verließ das Andreanum am 23. März 1921, um einen kaufmännischen Beruf zu erlernen. Über die nachfolgende Zeit ist nichts bekannt. Seiner Sterbeurkunde ist zu entnehmen, dass er 1938 in Berlin, Düsseldorfer Straße 69, gelebt hat. Wann er dorthin zog und ob dieser Umzug direkt aus Salzdetfurth erfolgte, bleibt unklar. Nach der Reichspogromnacht wurde Hans verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Es ist zu vermuten, dass der 36-jährige Jude in das „kleine Lager“ des KZs gebracht wurde, in welchem sich die so genannten „jüdischen Baracken“ befanden. Dort starb Hans am 7. Dezember 1938, als Todesursache ist in der Sterbeurkunde angegeben: Wurde erschossen (Brust- und Beckenschüsse).

Das Wohn- und Geschäftshaus der Dammanns in Salzdetfurth wurde in der Reichspogromnacht weitgehend zerstört. Hans‘ Schwestern Margarethe, Ella und Helene wurden 1942 und 1943 in anderen Konzentrationslagern ermordet.
Hanne Dockhorn


Michael Wilhelm Dux

Michael Wilhelm Dux wurde am 15. August 1880 in seinem Elternhaus in der Goslarschen Straße 3a in Hildesheim geboren. Er war der Sohn des Bankiers August Dux und dessen Ehefrau Elsbeth Dux, geborene Herzberg. Er blieb sein Leben lang unverheiratet und kinderlos.

Nach Wilhelms Geburt wohnte die Familie zunächst mit Wilhelms weiteren Geschwistern Thea, Margarethe, Lilly und Hilda in der Goslarschen Straße 3a. Am 28.08.1895 zog die Familie Dux in die Friesenstraße 11, in das ihnen gehörende Bankhaus, das Bank- und Wechselgeschäft August Dux & Co. Wilhelm besuchte in seinen Jugendjahren das königliche Gymnasium Andreanum. 1891 begann dort sein erstes Schuljahr. Nach sieben Jahren auf der Schule schloss er am 25. März 1898 seine Schulzeit am Andreanum ab.
 
 
Das Bankhaus Dux Quelle: www.vernetztes-erinnern.de, Seite „Familie Dux und Bankhaus August Dux & Co“


Anschließend zog Wilhelm am 12. Mai 1898 nach Braunschweig, vermutlich um dort eine Ausbildung als Bankier zu beginnen. Nach vier Jahren Aufenthalt in Braunschweig und zeitweise in Leipzig kehrte er in sein Elternhaus in die Friesenstraße 11 zurück.Mit seiner abgeschlossenen Ausbildung konnte Wilhelm daraufhin in die Geschäfte seiner Familie, der Bank „August Dux & Co“, eintreten. Nachdem Wilhelms Vater August am 20. Dezember 1902 verstorben war, wurde Wilhelm samt seinen Geschwistern und ihrer Mutter zu Gesellschaftern des Bankhauses. 

Wilhelms Schwestern traten jedoch alle als Gesellschafter aus der Bank aus, sodass ab 1910 Wilhelm Dux und seiner Mutter Elsbeth eingetragene Gesellschafter der Bank „August Dux & Co“ waren.  Am 3. Dezember 1915 verließ Wilhelm Dux Hildesheim erneut und war bis zum 27. November 1918 beim Militär, um vermutlich im Ersten Weltkrieg zu dienen. Nach seiner Rückkehr wohnte er wieder mit seiner Mutter in der Friesenstraße 11. Am 24. März 1941 verstarb Wilhelm Dux Mutter Elsbeth. Fünf Tage nach ihrem Tod beerbte er sie am 29. Mai 1941. Die genaue Summe der Erbschaft ist nicht bekannt. Noch im selben Jahr ließ Wilhelm Dux sein eigenes Testament aufsetzen. Beim Verfassen seines letzten Willens gab er am 1. Dezember 1941 als Wohnort die „Adolf Hittler Straße Nr. 14“ an. 

Die Adolf-Hitler-Straße 14 ist die heutige Bahnhofsallee 14. Dort befand sich zum damaligen Zeitpunkt ein so genanntes Judenhaus. Wann genau er in dieses ziehen musste, ist nicht nachzuvollziehen. Jedoch ist mit Sicherheit zu sagen, dass dies sein letzter Wohnort in Hildesheim war. Am 26./27. März 1942 wurde Wilhelm Dux in einem Sammellager in Hannover-Ahlem inhaftiert. Von dort aus wurde er in das Ghetto Warschau deportiert. Am 1. April 1942 stieg Wilhelm Dux mit der Kennkartennummer A 00253 und der Transportnummer 408 in den bereits am 31. März 1942 in Gelsenkirchen gestarteten und über Münster gefahrenen Deportationszug. 

Wilhelm Dux starb in der Deportation.

Sein genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Am 6. Februar 1957 wurde sein Todestag vom Amtsgericht Hildesheim 14 304/5D auf den 8. Mai 1945 festgelegt. Ebenfalls ist unbekannt, wo er begraben wurde.
Greta Satow

 

Walther Ehrlich

Walther Ehrlich wurde am 1. März 1889 in der Friesenstraße 1003 in Hildesheim bei einer Hausgeburt, als Sohn des Kaufmanns Albert Ehrlich und seiner Frau Berta Ehrlich, welche seit 1879 in Hildesheim lebten, geboren. Als einziger Junge neben seinen drei älteren Schwestern – Rosa Buzaglo (geb. Ehrlich), Käthe Meyerhof (geb. Ehrlich) und Else Ehrlich – wuchs Walther zunächst in seinem Geburtshaus, der Friesenstraße 1003, auf. 1896 zog die ganze Familie in die Bernwardstraße 3, da Walthers Vater dort sein eigenes Geschäft unter dem späteren Namen: „Manufaktur Woll- Kurz und Spielwaren en groß“ eröffnete. Ab Ostern 1898 besuchte Walther die Sexta des Königlichen Gymnasiums Andreanum. Am 27. September 1904 verließ Walther dann die Schule nach Abschluss der Untersekunda mit durchschnittlichen Noten. 

Nach der Schule begann Walther vermutlich eine Ausbildung zum Handelsgehilfen. Später verlagerte Walther vom 31. Dezember 1907 bis 14. Juli 1908 seinen Wohnsitz nach Hamburg und zog dann zurück in die Bernwardstraße in Hildesheim. Ein späterer Aufenthalt in Freiburg scheint ungeplant tragisch beendet worden zu sein, denn Walthers Vater Albert Ehrlich starb im Alter von 57 Jahren am 3. April 1909, was wohl Walthers Rückzug nach Hause nur 3 Tage später hervorgerufen haben wird. 

Wahrscheinlich arbeitete Walther von nun an mit seiner Schwester Else im Familiengeschäft. Die anderen Schwestern waren auswärts verheiratet. Zum 11. August 1923, mit dem Tod von Walthers Mutter Berta, dürften dann die Geschwister Ehrlich endgültig die Leitung und Inhaberschaft des Ladens übernommen haben. Am 1. April 1926 zog Walthers Frau Ella Ehrlich (geb. Meininger) aus Hagenow mit in die Bernwardstraße 3 ein. Nur drei Monate später starb die gerade einmal 27-Jährige am 25. Juli 1926 laut Todesanzeige plötzlich und unerwartet. 

Mit 43 Jahren, am 7. Oktober 1933, flüchtete Walther in die Niederlande nach Amsterdam. Grund für die Wahl des Fluchtziels müsste zum einen die geographische Nähe der Niederlande, zum anderen die familiäre Verbindung nach Amsterdam zu seiner Schwester Rosa Buzaglo gewesen sein. Sie lebte mit ihrem niederländischen Mann Aron Buzaglo in Amsterdam. Walther emigrierte alleine per Bahn von Hildesheim aus mit wenigen persönlichen Besitztümern. Sein erster Wohnort in Amsterdam lag in der Rietwijkerstraat 38. Innerhalb dieser Straße zog Walther dann 1934 in die Hausnummer 43 um. In dem Mehrfamilienhaus lebte auch die in Aachen geborene und zeitweise in Hildesheim lebende Therese Edelstein, die verwandtschaftlich mit den Ehrlichs verbunden war. In den Niederlanden ging Walther der Arbeit in einer Art Waschsalon nach.

Walther Ehrlich wurde 1942 aus Amsterdam in das KZ Auschwitz, Polen, deportiert, wobei sein genaues Deportationsdatum nicht nachweisbar ist. Am 2. November 1942 fand er dort mit 53 Jahren seinen grausamen Tod.
Ben Ole Schumacher

 

Julius Elias

Schon mehrere hundert Jahre vor Julius‘ Geburt lebte die Familie Elias in Hoya als Besitzer des Hauses in der Deichstraße 16, welches immer an die nächste Generation weitervererbt wurde. 

Am 4. März 1873 wurde Julius in Hoya als Sohn des Kaufmanns Adolf Elias und seiner Frau Ida Elias, geb. Dammann, geboren und war von seiner Geburt bis zu der Deportation ohne Unterbrechung in Hoya gemeldet. Im Alter von 13 Jahren ging er nach Hildesheim an das Königliche Gymnasium Andreanum und verließ dieses Ende August 1892.

Danach schloss er vermutlich eine Ausbildung zum Kaufmann ab, um nach Tradition das väterliche Textilgeschäft zu übernehmen. Außerdem diente er im Ersten Weltkrieg. 

Elias Julius Haus in der Deichstraße 16 Jahr 1910 pdf 1 Seite

Das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Elias, 1910 Quelle: Hornecker, Elfriede: Woher. Wohin. Jüdische Familien im Hoyaer Land. Hoya 2017, S.102.

Im März 1919 verlobte sich Julius Elias mit Margarethe London und die Hochzeit folgte am 12. August 1919. Julius wurde im Jahr 1921 Eigentümer des väterlichen Wohnhauses mitsamt des Textilgeschäfts in der Deichstraße 16 und besaß zusätzlich zwei Äcker. Am 2. Mai 1920 wurde das Ehepaar Elias Eltern von Ernst Elias und knapp zwei Jahre später, am 3. Januar 1922, erblickte der zweite Sohn Adolf Elias die Welt. 

1931 musste Julius Elias einen Raum in seinem Haus an den Drogisten Heinrich Ahlbrecht vermieten und 1934 wurde diese Drogerie von Friedrich Behrens übernommen. Am 10. November 1938, einen Tag nach der Reichspogromnacht, wurde Julius Elias, als einer der Leiter der jüdischen Gemeinde in Hoya, sowie sein jüngster Sohn Adolf inhaftiert und in das KZ Buchenwald gebracht, aus welchem beide im Februar 1939 wieder freigelassen wurden. Daraufhin musste das Textilgeschäft geschlossen werden.

Anfang August 1940 verschuldete sich das Ehepaar Elias durch einen sogenannten „Heimeinkaufsvertrag“, der insgesamt 84.800 RM kostete. Dieser Heimeinkaufsvertrag wurde von den Nationalsozialisten benutzt, um an das Geld älterer Menschen zu kommen. Diese dachten, dass sie sich durch den Vertrag einen Platz in einem der „Theresienstädter Altersheime“ sichern würden und so der Deportation in den Osten entgehen könnten, weswegen sie umso weniger auf die grausamen Zustände im Ghetto vorbereitet waren.

Am 22. Januar 1940 wurde Elias‘ Konto als beschränkt verfügbares Sicherheitskonto gesperrt und später wurden die Guthaben seiner zwei Konten zur Deckung der Schulden vom Heimeinkaufsvertrag eingezogen. Das Haus der Familie Elias wurde am 20. März 1941 an den bereits erwähnten Herrn Behrens verkauft, vermutlich weit unter dem eigentlichen Wert, nämlich für nur 19.400 RM. Ab September 1941 musste der Judenstern getragen werden und am 5. Dezember 1941 musste Julius seine Äcker für jeweils 250 RM verkaufen.

Julius und Margarethe durften nach dem Verkauf des Hauses bei der Familie Deichmann leben, welche in der Lange Straße 51 wohnten. Am 7. Juli 1941 wurden dann alle jüdischen Einwohner Hoyas in das „Armenhaus“ auf dem Kuhkamp eingewiesen, welches auch Julius letzte Adresse war.

Am 20. Juli 1942 wurde das Ehepaar Elias in Hoya festgenommen und im Laufe des Vormittags in die israelitische Gartenbauschule „Ahlem“ gebracht, welches eine Sammelstelle für zu Deportierende aus z.B. Hildesheim und Hannover darstellte. Drei Tage später fuhr der Sonderzug mit 779 überwiegend alten Menschen, darunter auch das Ehepaar Elias, von Hannover über Dresden und Bauschowitz nach Theresienstadt in der Tschechoslowakei, welches nach knapp einer Tagesreise erreicht wurde.

Julius Elias starb am 24. November 1942 im Ghetto Theresienstadt.
Sara Iversen Kell

 

Otto Kohen

Otto Kohen wurde am 8. Juli 1876, in Hamburg, als zweites von vier Kindern des Niederländers Levi Ludwig Cohen und seiner Frau Therese Kohen, geb. Dux, geboren.

1873 zog die Familie nach Hildesheim, in die Heimatstadt von Therese, als Otto sieben Jahre alt war. Im selben Jahr wurde er auf dem „Königlichen Gymnasium Andreanum“ eingeschult, wo er bis 1880 blieb und dann auf das angegliederte „Andreas-Realgymnasium“ wechselte.Nach der Schule schlug er die Laufbahn des Bankiers ein und zog nach Hannover, wo die Podbielskistraße als sein letzter Wohnsitz angegeben ist. Gearbeitet hat er bei der Deutschen Bank in Hannover.

Wie Otto besuchten auch seine Brüder zunächst das Gymnasium Andreanum und wechselten dann auf das Andreas-Realgymnasium. Sein jüngster Bruder Wilhelm heiratete eine Marcelle und zog nach Belgien, wo sie drei Söhne bekamen. Julius Kohen, das älteste Kind der Familie, ging nach Berlin und heiratete als Bankier Clara Eugenie, mit der er zwei Kinder hatte.  Elsbeth Oppenheimer, die jüngere Schwester von Otto, blieb in Hildesheim, wo sie die Goetheschule besuchte und dann den Gemeindevorsteher und Justizrat Alexander Oppenheimer heiratete.

Therese Kohen verstarb direkt nach der Geburt von Wilhelm, am 25. Dezember 1875. Levi Ludwig lebte noch als Rentner bis zum 3. November 1912 in Hildesheim und verstarb dann im Alter von 83 Jahren. Otto selbst blieb unverheiratet und lebte bis zu seinem Tod in Hannover. 1938 wurde sein Vermögen in Verwahrung genommen, weswegen er mittellos und abhängig zurückblieb.

Am 6. Oktober 1941 nahm sich Otto Kohen durch die Einnahme einer Überdosis Veronal das Leben. Er verstarb im Alter von 74 Jahren, 2 Monaten und 28 Tagen um 16:10 Uhr im israelischen Krankenhaus in Hannover. Veronal oder Barbital, wie es auch genannt wird, ist ein starkes Schlafmittel, was häufiger als Mittel für Suizide verwendet wurde. Julius Kohsen beendete am 28. August 1942 in Berlin sein Leben, nur etwa ein Jahr nach seinem Bruder Otto.

Elsbeth Oppenheimer verstarb 1942 im KZ Treblinka, nachdem ihr Mann schon 1930 von ihr gegangen war. Ihre Tochter Resi emigrierte nach London und starb dort 1996. Der Jüngste, Wilhelm, starb 1942 in Belgien, durch Einfluss der Nazis, seine Frau überlebte in Brüssel, ebenso die Söhne von ihm. Otto Kohen ist der Cousin von Wilhelm Dux, dem Sohn des Bankiers August Michael Dux in Hildesheim.
Johanna Dürrkopf

 

Otto Wolfes 

Otto Wolfes wurde am 9. Februar 1886 in Elze geboren und wuchs vermutlich in seinem Elternhaus in der Bahnhofstraße 19 auf. Er war nicht der einzige Sohn des Kaufmanns Harry Wolfes sowie seiner Mutter Cäcilie geb. Jacobs. Er hatte einen Bruder Namens Hans, der am 22. September 1884 auf die Welt kam. Vermutlich besuchte Otto wie die meisten Kinder jüdischen Glaubens die Volksschule in Elze, bis er zur Weiterbildung Ostern 1898 auf das Königliche Gymnasium Andreanum in Hildesheim wechselte. Ostern 1904 legte er dort seine Reifeprüfung ab und verließ das Gymnasium mit der Zielangabe „Mediziner“. Auch sein Bruder Hans besuchte das Andreanum, jedoch absolvierte er seine Reifeprüfung schon zwei Jahre vor Otto, Ostern 1902. Des Weiteren war Otto gemeinsam mit seinem Bruder Hans Mitglied im Elzer Männer-Turn-Verein.

Sowohl Otto als auch sein Bruder Hans waren beide Studenten in den Städten München, Leipzig, Kiel und Göttingen. Seine Promotion erlangte Otto im Jahr 1910 in München. Seine Dissertation behandelte das Thema „Cystom und Schwangerschaft“. Ebenfalls im Jahre 1910 erhielt er seine Approbation und erlangte somit den Doktortitel. Höchstwahrscheinlich zog er aus beruflichen Gründen gemeinsam mit seinem Bruder Hans, nachdem beide im Ersten Weltkrieg als Soldaten gekämpft hatten, in die Stadt Hannover.

Vermutlich war Hans als Jurist und Rechtsanwalt in Hannover in der Bahnhofstraße 7 beschäftigt. Seine Ehefrau war Martha, geb. Rathe, mit der er die Kinder Ruth (geboren im Jahr 1924), Susanne (1927) und Hans-Jürgen (1929) hatte. Otto hingegen war zuerst als Oberarzt beziehungsweise Stabsarzt der Reserve tätig, bis er im Januar 1919 Inhaber einer eigenen Privatklinik in der Baumstraße 16 wurde, in der er die Tätigkeit als Facharzt für Chirurgie und Orthopädie ausübte. Zudem war er auch wohnhaft in der Baumstraße 16. Ab dem Jahr 1922 übernahm Otto die Leitung des jüdischen Krankenhauses in Hannover.

Es ist anzunehmen, jedoch nicht anhand von vorgefundenen Quellen belegt, dass Otto in Hannover Friederike Gertrud geb. Herzfeld heiratete, da Informationen dazu vorliegen, dass er mit dieser insgesamt drei Kinder bekam. Gertrud wurde am 21. November 1895 in Hannover geboren und war die Tochter von Alexander Herzfeld und Martha Wolfes. Eva, die Erstgeborene von Otto und Gertrud, kam am 15. November 1918 in Hannover auf die Welt, Ursula am 9. November 1919. Die jüngste Tochter des Paares, Ilse, wurde am 2. September 1923 geboren.

Otto zog aus beruflichen Gründen gemeinsam mit seiner Familie im September 1938 von Hannover nach Köln in die Ottostraße 85, um dort als Oberarzt der chirurgischen Abteilung des Jüdischen Krankenhauses zu agieren. Nachdem im Oktober 1938 allen jüdischen Ärzten ihre Approbation entzogen worden war, war Otto einer der wenigen Ärzte, der weiterhin seine Zulassung als Krankenbehandler behalten durfte.

Neben umfangreichen Veränderungen der Rahmenbedingungen des Jüdischen Krankenhauses kam es auch zu einer namentlichen Änderung bei Otto Wolfes. Am 1. Januar 1939 erhielt er auf Grundlage der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August, wie auch viele weitere männliche Personen der jüdischen Bevölkerung, den zweiten Vornamen Israel. Nachdem der Leiter des Krankenhauses, Dr. Georg Lepehne, im Jahr 1939 in die USA ausgewandert war, wurde Otto Wolfes sein Nachfolger.

Durch die ersten Deportationen des 21. Oktobers 1941 veränderte sich die Situation des Krankenhauses grundlegend, da der größte Teil der Deportierten aus Medizinern und Pflegepersonal bestand, welche die medizinische und organisatorische Begleitung der Sanitätsabteilung des Transportzuges übernehmen sollten.

Auch Otto Wolfes war unmittelbar von den Deportationen des Jahres 1941 betroffen. Am 21. Oktober 1941 wurde er ausgewählt, als Leiter der Sanitätsabteilung zu agieren. Seine Tochter Ursula, die zuvor dem Pflegepersonal angehört hatte, wurde dazu bestimmt, als Sanitätshelferin zur Verfügung zu stehen. Zeitgleich wurden auch die Familienangehörigen deportiert. Der Betroffene wurde also am 21. Oktober 1941 mit seiner Ehefrau Gertrud Wolfes und seinen beiden Kindern Ilse und Ursula aus Köln nach Lodz, Litzmannstadt, deportiert. Eva, die älteste Tochter, war bereits nach ihrer Ausbildung nach Südafrika ausgewandert und konnte somit den grausamen Geschehnissen, die sich zu diesem Zeitpunkt abspielten, entfliehen.

Nach dem gemeinsamen Transport ins Ghetto in Litzmannstadt trennten sich die Wege der Familie. Ottos Frau Gertrud verstarb vermutlich im Ghetto zu Lodz. Seine Töchter Ilse und Ursula wurden beide am 27. September 1944 zuerst in das Konzentrations- und Vernichtungslager in Auschwitz, später in das Konzentrationslager in Stutthof verschleppt, in welchem sie beide ermordet wurden. Otto wurde im August 1944 nach Auschwitz und weiter nach Dachau, ins Konzentrationslager Kaufering, deportiert. Er verstarb schließlich am 17. Januar 1945 in der Außenstelle des KZ Dachau, vermutlich an Typhus und dem Hungertod.

Mit der Verordnung vom Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verfiel Otto Wolfes Guthaben von 31 Reichsmark, welches sich zu diesem Zeitpunkt noch auf seinem Konto in Hannover befand, und wurde dem Deutschen Reich übertragen.
Laura Motairek

 

Julius Goldschmidt

Jonah Goldschmidt, genannt Julius, wurde am 20. September 1862 als viertes Kind der Eltern Helene Goldschmidt und Selig Goldschmidt in Hildesheim geboren. Mit seinen Schwestern Jenny, die schon im Kindesalter verstarb, Bela und Ziepora wuchs er in der Goschenstraße 6 auf, während sein Vater als Kollekteur für eine Lotterie arbeitete. Dieser verstarb im Jahr 1895, woraufhin seine Frau Helene mehrmals umzog und in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 1916 in Moritzberg verstarb.

Nachdem Julius die jüdische Volksschule besucht hatte, kam er als 1872 zunächst auf das Gymnasium Andreanum und wechselte ein Jahr später in den Realschulzweig. Diesen verließ er mit der wissenschaftlichen Befähigung für den einjährig-freiwilligen Dienst. 

Nach der Schulzeit zog er nach Neustadt an der Hardt, heiratete Sahra Schwarz und bekam mit ihr 1892 einen Sohn, den sie Rudolf nannten. 1912 zog die Familie in die Bachstraße 6 in Karlsruhe, 1920 in die dortige Herderstraße 1. Nachdem Julius‘ erste Frau am 23. Februar 1918 verstorben war, heiratete er am 19. Februar 1920 die Witwe Eugenie Aberle (*1885). In dieser Zeit lebte die Familie von Kapitaleinkünften oder Vermögen, da Julius sich als Privatier niedergelassen hatte.

Im Jahr 1939 zog das Paar in das von jüdischen Gemeinden geleitete Altersheim in der Stephanienstraße 9. Ein Jahr darauf wurde die Familie am 20. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs in Frankreich deportiert. Dort verstarb Julius Goldschmidt am 27. und seine Frau Eugenie am 29. Dezember 1940 unter unmenschlichen Bedingungen. 

Auch der Sohn Rudolf wurde zusammen mit seiner Frau nach Gurs deportiert; beide verstarben nach weiteren Deportationen in Ausschwitz. Den zwei Kindern des Paares gelang die Flucht nach Amerika, wo sie heute unter geändertem Namen leben.
Henrike Behrens

 

Kurt Wollberg

Kurt Wollberg wurde am 28. Mai 1906 als Sohn des Prokuristen Karl Wollberg und seiner Frau Emilie geb. Koopmann geboren. Er hatte einen älteren Bruder, Hans, geb. am 4. März 1904 ebenfalls in Hildesheim. Zum Zeitpunkt von Kurts Geburt lebte die Familie in der Sedanstraße, 1912 zog sie in die Boysenstraße, 1919 dann in die Gaußstraße. 

Während sein Bruder seit 1914 das Andreas-Realgymnasium besuchte, wurde Kurt am 26. April 1916 als Schüler am Staatlichen Gymnasium Andreanum aufgenommen. Seine Schulzeit fiel somit zu einem Großteil in die Zeit des Ersten Weltkriegs. Diese Jahre waren geprägt durch häufigeren Unterrichtsentfall, zum Beispiel wegen Einberufungen von Lehrkräften oder aber weil Brennmaterial fehlte, um bei Frost die Schule zu heizen. 

Am 24. März 1921 ging Kurt Wollberg vom Andreanum ab, um auf die Handelsschule zu wechseln. Über Kurt Wollbergs weiteren Schulweg, seine Ausbildungszeit und die ersten Berufsjahre ist bislang nichts bekannt. Erst für die Zeit ab 1938 finden sich wieder Spuren. Er wohnte damals in Hannover und arbeitete bei einem Gartenbetrieb mit den Fachgebieten Landschaft, Zierpflanzenbau und Baumschule im Stadtteil Kleefeld. Dort verdiente Kurt 25 Reichsmark wöchentlich. Er war unverheiratet.

Am 4. September 1941 wurde Kurt Wollberg gezwungen, in ein sogenanntes Judenhaus umzuziehen. Als „Judenhaus“ wurden in der NS-Zeit Wohnhäuser bezeichnet, die zuvor jüdischen Bürgern gehört hatten und in die nun zwangsweise jüdische Mieter und Untermieter eingewiesen wurden. Diese Maßnahme traf im September 1941 alle Juden, die noch in Hannover lebten; sie ging in die Stadtgeschichte ein als sogenannte Aktion Lauterbacher, benannt nach dem NSDAP-Gauleiter Hartmann Lauterbacher. Dieser gab den Befehl, sämtliche Juden aus ihren Wohnungen zu vertreiben und in insgesamt 15 „Judenhäusern“ zwangsweise unterzubringen. Das führte zu beengten und hygienisch katastrophalen Wohnverhältnissen.

Bei der Umsiedlung durfte nur Bettzeug, Wäsche und Kleidung mit­genommen werden. Nach dem Umzug musste Kurt Wollberg eine Vermögenserklärung abgeben. Aus dieser geht hervor, dass er nun nur noch wenig besaß: an Kleidung lediglich zwei Hüte (Wert: 5 Reichsmark), ein Paar Schuhe (3 Reichsmark) und „diverses abgenutztes Arbeitszeug ohne besonderen Wert“. 

Die „Aktion Lauterbacher“ war die Vorstufe zur Deportation der hanno­verschen Juden in die Vernichtungslager, die im Dezember 1941 begann. Am 15. Dezember wurde Kurt Wollberg in das Ghetto Riga deportiert. In dieses Lager kamen zwischen Dezember 1941 und Früh­jahr 1942 geschätzt 25.000 bis 28.000 Jüdinnen und Juden, v.a. aus Deutschland und Österreich. Ein Großteil wurde direkt nach der Ankunft ermordet, vermutlich auch Kurt Wollberg. Sein Todestag ist nicht bekannt.

Seine Eltern wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Sein Bruder war 1939 zusammen mit seiner Frau in die Niederlande geflüchtet. Von dort wurden beide im Juli 1943 nach Sobi­bor deportiert und ermordet. Kurts Großeltern, die Eltern seiner Mutter, kamen ebenfalls in Theresienstadt ums Leben.

Für Kurts Bruder Hans wurde am 30. November 2020 ein Stolperstein am Scharnhorstgymnasium, dem früheren Andreas-Realgymnasium, verlegt.

 

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