Die meisten Schulen würden die Weihnachtsferien gern vorziehen, um der immer dramatischeren Corona-Lage zu entfliehen. Aber es gibt auch andere Ansichten.

Die Bilder des Paares in den sozialen Netzwerken künden von einem wundervollen Urlaub in der Ferne. Während ihr volljähriger Sohn im regnerisch-kalten Deutschland eine Schule nicht weit von Hildesheim entfernt besucht, reisen seine Eltern auf der populären Garden Route durch Südafrika. Die Fotos zeigen sie lachend mit Elefanten, Pinguinen und Walen. Wie andere Menschen auch hatte das Paar wegen der Corona-Pandemie lange auf solche Momente gewartet. Aber nun steht das Ende der Reise an. Und mit Sorge blickt man überall in Deutschland auf Rückkehrer wie sie. Vor allem, wenn sie wie das Paar ganz aktuell aus Südafrika zurückkehren. Grund ist die neu entdeckte Corona-Variante Omikron, die bisher vor allem im südlichen Afrika verbreitet wird und wohl sogar noch ansteckender ist als die Delta-Variante. Was, wenn auch die Eltern des Schülers sich infiziert haben – und die Variante demnächst über den Sohn in die Schule in der Umgebung Hildesheims gelangt?

Die Waldorfschule hatte alle Schüler in den Distanzunterricht geschickt
An den meisten Schulen im Landkreis halten die Lehrkräfte bei solchen Berichten die Luft an. Auch wenn die meisten Einrichtungen bisher noch von größeren Ausbrüchen verschont blieben: Die Sorge davor, etwa das Schicksal der Waldorfschule zu teilen, ist überall groß. Die freie Schule vom Moritzberg hatte nach vielen Infektionsfällen, bei denen die Zusammenhänge unklar waren, alle 350 Schülerinnen und Schüler sowie 50 Lehrkräfte in den Distanzunterricht geschickt.

„Seit Montag sind wir wieder im Präsenzunterricht“, sagt Kathrin Pahl, Geschäftsführerin der Schule. Aber an nahezu allen Schulen in Stadt und Landkreis Hildesheim ist die Sorge groß, dass sie auftretende Infektionen irgendwann selbst nicht mehr unter Kontrolle bekommen könnten – und dann ebenfalls von heute auf morgen in den reinen Distanzunterricht wechseln müssen.

An den meisten Schulen herrscht ein „mulmiges Gefühl“
Nahezu alle von der HAZ befragten Schulen, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler sind deshalb der Meinung, dass man besser vorher die Notbremse ziehen sollte. Barbara Bormann, Leiterin der Augustinusschule, spricht von einem dauerhaft „mulmigen Gefühl“. „Irgendetwas muss doch jetzt passieren“, sagt sie.

Andrea Milbrod-Jakob, Leiterin der IGS Bad Salzdetfurth, hält es für sinnvoll, die Weihnachtsferien vorzuziehen. „Die Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen nimmt erschreckend zu“, sagt sie. Besonders die jüngeren Schülerinnen und Schüler hätten zugleich keine Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Viele Erwachsene könnten sowohl ihr Privat- als auch ihr Berufsleben an die Gegebenheiten anpassen – ihre Kinder hingegen nicht. Und in den Schulen sei es oft nicht möglich, in voll besetzten Klassen den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten. „Selbst wenn wir hier die Lerngruppen getrennt voneinander in die Pausen schicken, bleibt immer noch der Weg zur Schule, auf dem sich Jahrgänge zum Beispiel in Bussen vermischen.“

Inzidenz bei Kindern bundesweit bei rund 700
Die Folgen lassen sich auch an den Inzidenzzahlen ablesen. Aktuell liegt die Inzidenz bei Kindern unter 14 Jahren bundesweit bei rund 700. Die allgemeine Inzidenz lag am Dienstag laut Robert-Koch-Institut bei 452,2. Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne hält bisher trotzdem an offenen Schulen bis Weihnachten fest. Er fordert stattdessen ein „geändertes Freizeitverhalten“ bei den Eltern sowie mehr Anstrengungen beim Impfen. Aber zumindest letzteres ist leichter gesagt als getan, weil vielerorts zu wenig Impfstoff vorhanden ist.

All das führt an den meisten Schulen zu einer eindeutigen Haltung. „Die Zahlen nehmen zu, auch an unserer Schule“, sagt Stefan Eggemann, Leiter des Goethegymnasiums. Alle mit denen er spreche, hätten „irgendwie ein mulmiges Gefühl“. Eggemanns Erkenntnis daraus: „Im Sinne der Sicherheit der Familien sind vorgezogene Weihnachtsferien aus meiner Sicht eine sinnvolle Option.“

Dirk Wilkening, Leiter des Gymnasiums Andreanum, hält dies aus zweierlei Gründen für einen guten Schritt. Erstens würden damit das Infektionsgeschehen und die Ansteckungsmöglichkeiten reduziert. Zudem sei in den Kollegien und auch bei den Schülerinnen und Schülern so etwas wie eine mentale Erschöpfung zu spüren, die der wenig perspektivreichen und weiterhin schwer zu bewältigenden Gesamtsituation geschuldet sei.

Zehn Neuinfektionen an der Robert-Bosch-Gesamtschule
Die Robert-Bosch-Gesamtschule könnte sich gerade einer gefährlichen Schwelle nähern. Vor einigen Tagen verzeichnete Schulleiter René Mounajed zwei Neuinfektionen, 60 Mädchen und Jungen mussten in Quarantäne. „Seit dem Wochenende haben wir zehn Neuinfektionen“, berichtet Mounajed, der auch Vorsitzender des Schulleitungsverbands Niedersachsen ist. Seine Forderung: Die Schulen sollten eine Woche vor dem offiziellen Beginn am 23. Dezember mit den Ferien beginnen und im Januar noch eine Woche dranhängen. Ganz ähnlich hatte sich auch Ministerpräsident Stephan Weil unlängst geäußert. „Ziel muss es sein, soviel Präsenzunterricht wie möglich auf lange Sicht sicherzustellen – aber auch die Sicherheit der Schulgemeinschaften zu gewährleisten“, sagt Mounajed.

In seiner Funktion als Verbandsvorsitzender wird er sogar noch deutlicher. Die Schulen im Land würden von den Gesundheitsämtern im Stich gelassen, weil sie zunehmend allein entscheiden müssten, wie sie sich verhalten sollen. Zudem fehle bereits vom Land zugesagtes Personal, das händeringend gebraucht werde. „Es ist ein Trauerspiel“, findet Mounajed.

Strohmeyer: Rückkehr zu Wechsel- oder Distanzmodell wenig förderlich“
Auch Michael Strohmeyer, Leiter des Gymnasiums Alfeld, hält vorgezogene Weihnachtsferien für sinnvoll, um die Sicherheit zu erhöhen. „Eine Rückkehr zum Wechsel- oder Distanzmodell halte ich für weniger förderlich, da sich die Begrenzungen beider im letzten Jahr herausgestellt haben und wir Lehrkräfte immer noch nicht über dienstliche Endgeräte verfügen“, meint er.

Auch an der Renataschule in Ochtersum nimmt die Zahl der positiven Corona-Fälle laut Schulleiterin Melanie Mademann zu. „Die Bereitschaft vieler Schüler, alle Sicherheitsmaßnahmen konsequent einzuhalten, nimmt jedoch merklich ab“, sagt sie. Zudem steige der Krankenstand im Kollegium. Wie die meisten anderen spricht sie sich deshalb für vorgezogene Ferien aus.

OSG hat Weihnachtsgottesdienste bereits abgesagt
Andrea Berger, Leiterin der Oskar-Schindler-Gesamtschule, weist darauf hin, dass wegen der Planungssicherheit eine frühzeitige Entscheidung wichtig sei. „Wir haben zum Beispiel die geplanten Weihnachtsgottesdienste in der letzten Unterrichtswoche aufgrund der pandemischen Entwicklung bereits abgesagt“, erklärt sie.
Stephan Speer, Leiter des Gymnasiums Josephinum, hält auch Distanzunterricht bis zum regulären Ferienbeginn für denkbar – „allerdings nur dann, wenn die epidemische Lage uns keine Wahl lässt“.

Kreisschülerrat will sich noch nicht festlegen
Während sich der Landesschülerrat bereits auf den Wunsch nach vorgezogenen Ferien festgelegt hat, ist man sich beim lokalen Gremium noch nicht ganz sicher. Zwar spricht auch Marius Müller, Vorsitzender des Kreisschülerrats, von „besorgniserregenden Zahlen“. Andererseits hätten viele Schüler in den vergangenen Monaten viel versäumt. „Dies gilt in besonderer Weise für jene, die kurz vor ihrem Abschluss stehen“, meint Müller.

Auch andere sind noch nicht gänzlich davon überzeugt, dass vorgezogene Ferien die beste Variante seien. „Ein vorzeitiger Ferienbeginn ist aus unserer Sicht keine sinnvolle Maßnahme zur Eindämmung der aktuellen Corona-Welle“, sagt etwa Torge Schäfer, Vorsitzender des Kreiselternrats. Sie wäre zwar für die Politik leicht umsetzbar, würde aber erneut die Kinder und Jugendlichen treffen. „Man sollte versuchen, den Präsenzunterricht so lange wie möglich zu erhalten“, sagt auch Waldorfschule-Geschäftsführerin Pahl.

Text und Foto: Archiv der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung