Hans Egon Holthusen (1913 – 1997)

Der ehemalige Andreaner Hans Egon Holthusen leistete als Essayist und Literaturkritiker einen bedeutsamen Beitrag zur Literatur der Nachkriegszeit und zählt mit seinem Gesamtwerk zu den bedeutendsten Schriftstellern der fünfziger und sechziger Jahre. Seine Artikel, Kritiken, Rezensionen, Essays, Gedichte und Romane repräsentieren über 40 Jahre kultureller Geschichte Deutschlands, was ihn und sein literarisches Zeugnis noch immer unverzichtbar für die deutsche Nachkriegsliteratur macht.

Hans Egon Holthusen wurde am 15. April 1913 als erstes Kind seiner Eltern Alma und Johannes Holthusen in Rendsburg, einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein, geboren. Er und seine drei jüngeren Geschwister wuchsen durch den Beruf ihres Vaters, der in der Gemeinde Rendsburg als Pfarrer arbeitete, in einem christlich deutschnational geprägten Elternhaus auf. Grundlegende Werte wie Christentum und Humanismus, die den Kindern durch das Elternhaus vermittelt wurden, prägten Holthusen sein ganzes Leben. Im November 1924 zog die Familie nach Hildesheim und Hans Egon wurde in die Quinta am Gymnasium Andreanum aufgenommen. Bis zu seinem Abitur im Jahr 1931 blieb er ein durchschnittlicher, aber besonders aufmerksamer und fleißiger Schüler. Am Ende seiner Schullaufbahn hob er sich von seinen Mitschülern ab, weil er beim Abschluss der Schule „Journalistik“ als den von ihm erwählten Beruf angab.

Nach seinem Abitur begann er sein Studium für Geschichte, Germanistik und Philosophie in Tübingen, Berlin und München und beendete es 1937 mit seiner Dissertation über Rilkes „Sonette an Orpheus“. Von 1937 bis zum Kriegsbeginn im September 1939 arbeitete Holthusen als Privatlehrer und an verschiedenen deutschen Universitäten. Im Krieg diente er als einfacher Soldat einer Nachrichtentruppe und erlebte diesen mehr als fünf Jahre lang an verschiedenen Fronten. Gegen Ende des Krieges, im April 1945, war Holthusen Teil der putschartigen „Freiheitsaktion Bayern“, die eine gewaltlose Kapitulation anstrebte.

Nach 1945 war Hans Egon Holthusen als freier Schriftsteller in München tätig und versuchte sich in verschiedenen literarischen Gattungen. Erste Aufmerksamkeit erlangte er durch seine Gedichte Klage um den Bruder (1947), in dem er den Verlust seines Bruders Walter durch den Krieg verarbeitete, Hier in der Zeit und Labyrinthische Jahre, in denen er sich mit der Situation Nachkriegsdeutschland auseinandersetzte. 1951 folgte erster Ruhm und bundesweite Bekanntheit durch sein Werk Der unbehauste Mensch über Probleme und Motive der Literatur der Zeit. Im Jahr 1954 wurde seine Essaysammlung Ja und Nein veröffentlicht, die unter anderem die Prosaelegie Unwiederbringliche Stadt enthält, die der Stadt Hildesheim gewidmet ist, deren wirkliche Schönheit er erst nach ihrer Zerstörung im März 1945 erkannte. In dieser schätzt er die Stadt und ihre besonderen Orte in den höchsten Tönen. Über die Jahre folgten weitere Sammlungen sowie zahlreiche Essays und Kritiken zu aktuellen literaturwissenschaftlichen Themen oder gegenwärtigen Ereignissen, sowie Interpretationen und Rezensionen zu klassischen und zeitgenössischen Autoren und Autorinnen. Insgesamt veröffentlichte Holthusen über 20 Bücher und mehr als 500 Artikel, Kritiken und Rezensionen.

Außerdem entwickelte er eine enge Verbindung zu den USA, wo er von 1959 bis 1981 mehrere Gastprofessuren innehatte, aber trotzdem für mindestens drei Monate im Jahr nach Deutschland zurückkehrte. Auf diese Weise war er sowohl in das kulturelle Leben Amerikas als auch Deutschlands eingebunden und ihm kam eine wichtige Rolle im kulturellen Austausch der beiden Länder in der Nachkriegszeit zu.

Im Februar 1961, als er sich gerade in Amerika befand, wurde seine bislang kaum bekannte SS-Mitgliedschaft zum Skandal. Am 01.11.1933 hatte sich Hans Egon Holthusen der Allgemeinen SS angeschlossen. Doch dies tat er nicht, weil er sich mit der nationalsozialistischen Weltanschauung identifizierte, sondern es waren andere Beweggründe, die zu dieser Entscheidung geführt hatten. Zum einen glaubte er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst an einen nationalen deutschen Aufbruch, zum anderen versuchte vor allem seine Mutter Alma ihn davon zu überzeugen, sich einer „nationalen Organisation“ anzuschließen. Sie glaubte, ein Eintritt würde Hans Egons Leben und seine Arbeit erleichtern und zusätzlich seinen Vater Johannes Holthusen schützen, der als Pastor und Mitglied der „Bekennenden Kirche“ stets Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten leistete und deshalb unter Beobachtung der Gestapo stand. Sich ausgerechnet der SS anzuschließen, begründet Holthusen mit seiner Eitelkeit, da die Gruppe als chic und exklusiv galt. Dennoch hatte er sich bis 1937 vollkommen aus der SS zurückgezogen, weil die NS-Ideologie der ihn prägenden christlich-humanistischen Überzeugung widersprach. Rückblickend bewertete er selbst seinen Eintritt als Akt der Orientierungslosigkeit und Unreife und bezeichnete es als „Fahrlässigkeit“, sich einer politischen Gruppe anzuschließen, deren Ideologie man für Schwachsinn hält.

In den letzten Jahren seines Lebens erhielt Holthusen viele Auszeichnungen, unter anderem den Jean-Paul-Preis zur Würdigung seines literarischen Gesamtwerkes in Höhe von 25.000 DM im Jahr 1983 und das Große Bundesverdienstkreuz für besondere Leistungen auf kulturellem Gebiet im Jahr 1987, verbrachte sie aber dennoch zurückgezogen in der Stadt München. Dort starb Hans Egon Holthusen am 21. Januar 1997 im Alter von 83 Jahren.

Noch heute sollte seine Person und sein Werk in Erinnerung behalten werden, insbesondere die hochschätzenden Worte, die er über die Stadt geschrieben hat, zu der er sich so verbunden gefühlt hat, wie wir es heute sind.

Gesa Neugebauer, Q1 (2020/2021)