Die 7. Stunde begann am ersten Mittwoch im Februar 2024 für 12 aufgeweckt-neugierige Mädchen der Klassen 5 und 6 im Physik-Hörsaal des Andreanums Hildesheim zum MINT-Kurs “Sky-Girls ”, um sich im Laufe eines Schulhalbjahres auf ein großes Abenteuer vorzubereiten: den „Flug zur Insel der Seehunde“.

Die während der nächsten 18 Wochen zu lösende Aufgabe bestand darin, Spielzeug der Borkumer Seehund-Babys, das von Gangstern gestohlen und auf der Insel versteckt worden war, zu lokalisieren, und einen Rettungsflug vorzubereiten. Dazu mussten sich die Teilnehmerinnen durch eine ganze Palette von MINT-Themen arbeiten: Satellitentechnik zur Positionsberechnung mit Pythagoras und Triangulation, Navigation mit Winkel- und Streckenberechnung nach Karten, Strömungslehre nach Bernoulli und Antriebstechnik von Flugzeugen. Auch die ökologischen Aspekte wurden betrachtet, und aktuell in der Entwicklung befindliche Technologien wie Elektroantriebe mit Akku oder Brennstoffzelle, Hybrid-Techniken und eFuels den Technologien der uns zur Verfügung stehenden Maschinen gegenübergestellt. Dazu gehörte natürlich auch grundlegendes Wissen um den Aufbau des Universums: neben dem Bohrschen Atommodell und der Unterscheidung zwischen Atomen, Elementen und Molekülen ging es darum, die Vorgänge beim Verbrennen von (Flugzeug-)Benzin und die Entstehung von CO2 zu verstehen. Aber auch „greifbar“ zu machen, was Strom ist und wie er u.a. regenerativ erzeugt werden kann, was wiederum für grüne Elektrolyse und Akkutechnik Voraussetzung ist.

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Auf dem Flugplatz
Die Zeit für ein derart komplexes Thema war kurz, und so fand neben dem regulären Unterricht in der Schule zusätzlich an drei Samstagen Unterricht an einem außerschulischen Lernort statt: direkt am Flugplatz Hildesheim. Dazu stellte der Aeroclub seinen Schulungsraum und die Kantine zur Verfügung, was den Vorteil hatte, dass an diesen Tagen auch die Flugzeuge, allesamt Viersitzer, „in Besitz“ genommen werden konnten: Die Sky Girls hatten sich bereits im Vorfeld in vier Gruppen geteilt, sodass zusammen mit dem jeweiligen Piloten die Maschinen voll besetzt waren.

Alle Mädchen konnten nicht nur in den unterschiedlichen Maschinen „Probesitzen“, sondern bekamen auch intensive Einweisungen in die Instrumentierung und Steuerung. Bravourös wurden die Flugvorbereitung gemeistert, die für jedes Flugzeug individuell durchgeführt werden musste: Vorflugkontrollen am Flugzeug, Flugstrecke unter Beachtung der unterschiedlichen Lufträume, Funkkontakte, Flugzeit, Spritverbrauch und benötigte Tankmenge.
Zum ersten Unterricht am Flugplatz waren die Eltern eingeladen und nahmen zahlreich teil. Dabei wurden die Räumlichkeiten und die Verantwortlichen vorgestellt. Interessiert wurde den Piloten zugehört, die Auskunft über ihre fliegerische Geschichte gaben, und im Anschluss an die 30-minütige „Eltern-Zeit“ noch viele Fragen beantworten mussten.
Selbstverständlich war auch während des jeweils dreistündigen Unterrichts für ausreichend Hirnschmalz-Energie in Form von Kuchen, Eis und Getränken gesorgt.

 

Am Flugtag
Der Flug war zunächst für Dienstag, den 18.06.2024 geplant. Allerdings verhießen die Flugwetterprognosen des DWD nichts Gutes, und so wurde die Aktion um zwei Tage verschoben. Denn für den 20. Juni 2024 war stabiles Flugwetter angekündigt, und das hatten sich die Sky-Girls, die in den letzten Tagen gespannt alle Aktualisierungen der Meteogramme mit Wetterprognosen verfolgt hatten, auch verdient.

Nun trafen sie morgens am Flugplatz ein, begleitet von ihren Eltern, die teilweise nochaufgeregter waren als die Kinder. “Ich finde das so toll, am liebsten würde ich selbst mitkommen”, war von einigen Müttern zu hören, deren Augen blitzten, während die Väter eher zurückhaltend das Treiben beobachteten.

Da zwei Schülerinnen im Verlauf des Kurs ausgestiegen waren, konnte dieses Jahr zum ersten Mal eine Lehrerin des Andreanums mitfliegen: Frau Reddersen, die nicht nur Klassenlehrerin einiger Sky-Girls war, sondern in ihrem Physik-Leistungskurs auch zwei ehemalige Sky-Girls bis zum diesjährigen Abitur begleitet hatte, war neugierig genug, sich dem Abenteuer zu stellen.

Doch auch ein Abenteuer beginnt mit der Organisation: den Eltern wurde die aktualisierte Planung vorgestellt, und im Gegensatz zu ihren Kindern sahen die Erwachsenen zum ersten Mal die Flugzeuge, die bereits auf dem Vorfeld standen.

Sechs Mitglieder des Aero-Clubs hatten ehrenamtlich die verantwortungsvolle Aufgabe übernommen, die Sky-Girls sicher bei dieser Aktion zu begleiten: als Piloten Michael Ruhsert, seit rund 30 Jahren Fluglehrer und regelmäßiger Teilnehmer des Deutschlandflugs und der Niedersachsen-Rallye, mit einer Cessna 172, Alexander Neufeld, Ingenieur und langjähriger Pilot, mit einer Piper PA-28, direkt aus Hannover landete gerade der Unternehmer Frank Hoffmann mit seiner eigenen TB-20, und der AG-Leiter, beruflich bedingter Dauerpendler zwischen Hildesheim und Borkum, mit einer Cirrus SR20. Als „Ground-Crew“ für das terrestrische Handling übernahmen Clemens Wirries, ein ehemaliger Hubschrauberpilot der Luftwaffe, und Peter Balder, professioneller Photograph, die Verantwortung.

Schon in der Schule hatten die Mädchen Teams gebildet und wussten genau, wer in welchem Flugzeug auf welchem Platz welche Strecke fliegen wollte. Nun zogen sie ihre Sicherheitswesten an, marschierten mit den Piloten zu den Maschinen, nahmen ihre Plätze ein und bereiteten aufgeregt den Start vor, damit es endlich losgehen konnte.

In den Flugzeugen wurden die Checklisten abgearbeitet. Prop area clear! Starter switch: Start! Der Reihe nach erwachten vier Motoren zu kraftvollem Leben und signalisierten auf allen Anzeigen volle Leistungsbereitschaft, was die der Instrumente kundigen jungen Damen erfreut zur Kenntnis nahmen.

Der Tower meldete “Startbahn 25”, die Maschinen setzten sich in Bewegung, und ein leichter Lufthauch kühlte vergeblich gegen die fiebrige Aufgeregtheit der Insassen an. Beim Start herrschte noch gespannte Stille, aber in der Luft fanden die Mädchen ihre Sprache schnell wieder, machten sich gegenseitig auf interessante Punkte aufmerksam, und fotografierten pausenlos alles, was ihnen vor die Linse kam.

Nach dem Durchflug durch die Kontrollzone Hannover übernahmen die Co-Pilotinnen begleitend die Steuerung und durften die Flugmanöver mitmachen. Das Gefühl der Verantwortung verursachte bei jedem thermischen Hüpfer des Flugzeugs einen erschrockenen Blick zum Piloten, aber mutig hielten die Mädchen die Maschinen auf Kurs, bis nach ca. einer Stunde Borkum in Sicht kam.

Schon von weitem leuchteten die breiten weißen Strände, und beim Flug über den Hafen zur Landebahn 31 präsentierte sich die Insel unter ihnen. Aufsetzen, ein paar träge Perlhühner von der Bahn verscheuchen, zum Tower rollen, und dann die wortreiche Wiedervereinigung der einzelnen Teams zur gemeinsamen MINT-Gruppe, um die ersten Flugerfahrungen auszutauschen. Und eines der Mädchen hatte sich im Flug übergeben und brauchte dringend eine Ersatzhose, die aber konnte fix organisiert werden.

Da kam auch schon die nächste Herausforderung: Die Gangster hatten in der Nacht ihr Diebesgut umgelagert! Glücklicherweise waren die Satelliten-Daten verraten worden, und so stürmten die Teams das Flugplatzgebäude, um unter den leicht irritierten Blicken einiger professioneller Berufspiloten mit Taschenrechner, Lineal und Zirkel die neue Position auf den Karten zu triangulieren. Entfernung vom Platz: ca. 1200m. Transportmittel? Fahrrad! Ausreichend Kinderfahrräder standen bereits vor dem Eingang, und so machte sich die Truppe auf zum errechneten Ziel: dem Seerosenteich.

Dort wartete bereits Frieder Grävemeyer, Borkumer Urgestein, ehemaliger Andreaner, und Arzt an der örtlichen Kurklinik, der sich extra frei genommen hatte, um für die MINT-Girls seiner alten Schule den Verbündeten vor Ort zu spielen. Er hatte eine Schatzkiste mit Spielsachen versteckt, die letztendlich natürlich für die Mädchen waren, und zusätzlich gab es Süßigkeiten, alles für den Badespaß später am Strand.

Die Mädchen fanden alles an genau der Stelle, die sie berechnet haben, und waren mit ihrer
Leistung sichtlich zufrieden: Aufgabe erfolgreich gelöst, und sogar alles im Zeitplan! Beladen mit der den Räubern abgejagten Beute ging es endlich mit den Fahrrädern durch die Borkumer Innenstadt über die Promenade ans Wasser: Genau gegenüber dem nur ca. 20 Meter entfernten Seehunde-Strand, auf dem sich unzählige Seehunde samt Babys in der Sonne aalten, ließen sich die Mädchen am Strand nieder, um die Tiere zu beobachten. Einige der Mädchen gingen sogar in der ruhigen, aber kühlen See baden.

Alle Süßigkeiten fanden begeisterten Absatz, und das nicht nur bei den Schülerinnen: sobald sie etwas in den Händen und leicht ab vom Körper hielten, stürzten sich die Möven darauf und versuchten, Beute zu machen, was ihnen aber dieses Jahr nicht gelang.
Nach einer Stunde Strand brach das Team zur Promenade auf, wo es ein ordentliches Mittagessen gab: nach den ganzen aufregenden Abenteuern hatten zwar alle großen Hunger, inselfrischer Fisch gehörte allerdings nicht zu den bestellten Gerichten.

Gegessen wurde unter Beobachtung der Uhr, da eine Führung im Naturkundemuseum wartet. Nach dem kurzen Weg dorthin hörten die Mädchen unter professioneller Leitung Geschichten über die Jagd auf Wale und die entbehrungsreichen Zeiten, als die Inselbewohner noch vom Fischfang statt vom Tourismus lebten, konnten ein echtes Walskelett und viele Relikte aus der Zeit der Lebertran-Leuchten besichtigen, und Frieder erzählte über einen Borkumer Seeräuber, der die Handelsschiffe der Weltmeere beraubte, wofür er später in New York zum Tode verurteilt worden war.

90 Minuten geschichtlicher Input erforderte für die Mädchen ein Kontrastprogramm: auf dem Weg durch die Fußgängerzone durchkämmten sie die Souvenir-Shops nach lohnenswerten Mitbringseln und genossen danach noch preiswürdig ausgezeichnetes Eis eines Borkumer Konditors, um dann den Rückweg zum Flugplatz anzutreten.

Geplättet von der Menge an Eindrücken und Informationen stiegen die Mädchen in die Maschinen, die Plätze wurden entsprechend der vorher vereinbarten Reihenfolge getauscht.
Mit leichter Verspätung zwar, aber sehr zufrieden mit dem Tag und ihrer eigenen Leistung, wurden die Sky-Girls in Hildesheim kurz vor 20 Uhr von ihren Familien empfangen. Das war ein außergewöhnlicher vorletzter Schultag, die nächsten Erlebnisse standen jedoch schon kurz bevor: am nächsten Tag sollte es Zeugnisse geben, und die Sommerferien warteten mit neuen und anderen Abenteuern…

Hintergrund: Das Gymnasium Andreanum unterstützt die MINT-Initiative der EU und des Bundes mit seinen MINT-for-Girls-Kursen. Um unabhängig vom Einkommen der Eltern allen Mädchen die Teilnahme zu ermöglichen, werden für die Kosten SponsorInnen geworben. Dieses Jahr bedanken wir uns herzlich für die finanzielle Unterstützung bei

- EVI Hildesheim
- HNO-Praxis Dr. Stolle, Hannover
- Volksbank Hannover
- Volksbank Hildesheim

 

 

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