Tausende Kinder und Jugendliche in der Region essen mittags in Kitas und Schulen. Was dort auf den Tellern landet, soll zum einen möglichst gesund sein, zum anderen nicht allzu teuer. Ein schwieriger Spagat, vor allem für kleinere Caterer wie das K.Bert der Hildesheimer Tafel. Ein Arbeitsbesuch bei Küchenchef Jens Tönnies.

Von Text und Fotos: Jan Fuhrhop

Mit Gemüse, da hilft auch kein Wunschdenken, muss Jens Tönnies in seiner Küche eher sparsam umgehen. „Erbsen, Möhren und Mais gehen ganz gut, da laufen die Kinder nicht gleich weg“, sagt er trocken, während er mariniertes Putengeschnetzeltes aus einer Metallschale in die große Kippbratpfanne schüttet und es gleichmäßig im heißen Öl verteilt. Er guckt kurz hoch, ehe er im Kühlraum verschwindet, um eine weitere Schale zu holen, und sein Blick sagt so etwas wie: Ich meckere nicht, stelle nur fest, ist eben so.

 

Als Jens Tönnies hat 32 Jahre lang bei der TUI in Hannover gekocht und die Küche gemanagt, seit einem Jahr ist er im K.Bert angestellt, einem Betrieb der Tafel. Fotos: Jan Fuhrhop

 

Also muss er kreativ werden, gerade weil er jeden Tag auch vegetarische Gerichte anbietet. Er bringt Paprika in der Sauce für die Cevapcici unter, setzt Gemüsebratlinge auf die Karte, oder eben auch seine Nudeln mit grüner Soße, so kriegt er „ein bisschen Brokkoli“ auf die Teller. Er kocht nahezu ausschließlich für Kinder, hier in der Küche des K.Bert. 510 Portionen sind es heute, sie gehen nach einem genau durchgetakteten Zeitplan an Kitas und Hort in Dinklar und Ottbergen, die Grundschule Nord, die Grundschule Achtum und das Andreanum; das Gymnasium ist seit Beginn des laufenden Schuljahres ein neuer Kunde. Am Dienstag hat Tönnies am meisten zu tun, da buchen auch viele Schülerinnen und Schüler am Andreanum, weil sie einen langen Schultag mit AG haben. 140 Essen sind per App für heute vorbestellt, die Kinder und Jugendlichen hatten die Wahl: Fischfrikadelle mit Kräutermayo und hausgemachtem Kartoffelpüree oder vegetarische Kibblinge auf Soja und Erbsenbasis („schmecken erstaunlich nach Fisch“) mit Kartoffeln und Salat.

Der gebürtige Hildesheimer Tönnies hat in seinem Berufsleben schon viele Herausforderungen angenommen und gemeistert. Er hat in den 1990er Jahren nach seiner Kochlehre in der Lüneburger Heide für die Hildesheimer Kupferschmiede gearbeitet, stand in Italien in der Restaurant-Küche und hat schließlich 32 Jahre lang bei der TUI in Hannover gekocht und später als Abteilungsleiter des Caterings ein 24-köpfiges Team gemanagt. Dann kam Corona und mit der Pandemie die Kurzarbeit, dann die Auslagerung der TUI-Küche an einen externen Caterer. Für den hat er zunächst noch in der Messe Hannover gearbeitet, bei riesigen Events für hunderte Gäste Fingerfood und mehr zubereitet. Bis er an einem Punkt war, an dem er so nicht weitermachen wollte: mit 14-, 15-Stunden Tagen – und auch nicht mit der massenhaften Vernichtung von Lebensmitteln. „Wenn da Essen für 1000 Leute vorbereitet wird und dann kommen nur 500, dann landet hinterher einfach ganz viel im Müll.“ Er wollte dieses „Kochen im Überfluss“ nicht mehr, war bereit für einen Bruch, eine neue Herausforderung. In dieser Phase seines Lebens stieß der Koch und Küchenmeister online auf eine Stellenanzeige des K.Bert. K was?

2006 eröffnete der Verein Hildesheimer Tafel mit seiner notorisch daueraktiven Gründerin und Chefin Annelore Ressel praktisch als Ableger des Trägervereins das Lokal in der namensgebenden Kardinal-Bertram-Straße als Kinder- und Jugendrestaurant. Ressels Ziel: Kindern und Jugendlichen aus Schulen der Umgebung gesundes Mittagessen in einem schicken Ambiente anbieten, verbunden mit dem pädagogischen Anspruch, jungen Gästen den Wert von Kochen und Essen zu vermitteln. 50 bis 60 Mahlzeiten gingen täglich über die Tische.

Mit der Ausweitung des Ganztagsbetriebs an den Schulen und dem dortigen Mittagsangebot schrumpfte die Nachfrage im K.Bert. Weswegen Ressel beschloss, das Angebot aufs Schulcatering zu verlagern. „Wenn die Schüler nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen kommen.“ Zuerst im Fokus: die Grundschule Nord. Sie zählt seither zu den K.Bert-Kunden, weitere Einrichtungen sind hinzu gekommen. Zuletzt eben das Andreanum. Und dessen Schulleiter Dirk Wilkening ist vollauf zufrieden mit dem neuen Partner, nachdem der Vertrag mit einem überregionalen Großcaterer ausgelaufen war. Auch die bisherigen Rückmeldungen aus dem Kollegium und der Schülerschaft seien positiv, erzählt Wilkening. Dass die Hildesheimer Tafel mit ihrem sozialen Ansatz hinter dem K.Bert stehe, passe zum Verständnis seiner Schule, man sei so etwas wie „Gesinnungsgeschwister“. Ach ja, sein Favorit aus der nun neben der Mensa mit dem warmen Mittagsangebot ebenfalls vom K.Bert betriebenen Cafeteria sei übrigens das Antipasti-Brötchen!

Während der Schulleiter in seinem Büro vom belegten Appetithappen schwärmt, steht Jens Tönnies an der Essensausgabe der Andreanum-Mensa und unterstützt K.Bert-Kollegin Maria Janker. Es ist kurz nach 12 Uhr, in der Schlange stehen Schülerinnen und Schüler, in den Händen ihre Chips, auf denen Guthaben gespeichert ist, das ihre Eltern per App aufgeladen haben. Woran sich die Andreaner nach den Ferien erstmal gewöhnen mussten: Anders als beim voherigen Caterer müssen sie ihre Bestellung in der App nun zwei Tage im Voraus aufgeben – vorher konnten sie sich noch am selben Tag morgens bis 8 Uhr entscheiden, ob und was sie essen wollen, weil der Lieferant zentral für zahlreiche Einrichtungen in Massen produzierte, die Spontanbestellungen ermöglichten.

Marcel Moch ist der zweite Koch im K.Bert. Auch, wenn das Essen möglichst frisch und gesund sein soll, ohne Tiefkühlware geht es nicht.

 

Im Andreanum gab es bis zu den Sommerferien außerdem jeden Tag eine Pasta-Bar, egal, ob jemand Nudeln essen wollte oder nicht. „Wir kochen jeden Tag nur, was wirklich bestellt ist und gegessen wird“, erklärt Jens Tönnies seinen neuen Ansatz gegen Verschwendung. Wir, das sind er und der zweite Koch im K-Bert, Marcel Moch. Sie bemühen sich, alles so frisch und gesund wie möglich zuzubereiten. Baguette als Beilage backen sie selbst, das Kartoffelpüree ist aus echten Kartoffeln und keiner Pulvermischung, den Schokopudding kochen sie und liefern nicht nur Fertigware im Plastikbecher. Tönnies sagt aber auch: Ohne Tiefkühlprodukte wäre der Betrieb nicht zu machen, wie am Dienstag zum Beispiel auch die Fischfrikadellen zeigen. Alles frisch zubereiten? Da bräuchte es deutlich mehr Personal, eine größere Küche, und vor allem: Der Preis für das Essen wäre höher. Am Andreanum kostet eine Mahlzeit 5 Euro, Salatbar und Dessert inklusive, „wer Nachschlag möchte, bekommt auch einen“, sagt Maria Janker. „Das zeigt ja auch, dass es schmeckt.“

Von den 5 Euro bleiben nach Abzug für den App- und Abrechnungs-Dienstleister rund 4,70 Euro, zudem müssen alle laufenden Posten wie Personal, Energie und Miete beglichen werden. Der K.Bert-Betrieb ist nicht auf Gewinnmaximierung angelegt – was angesichts der laufenden Ausgaben bei gleichzeitig gewünscht niedrigen Kosten für die Familien auch nicht funktionieren würde. Der Verein sei fortlaufend auf Spenden angewiesen, sagt Ressel. Aber als sogenannter wirtschaftlicher Zweckbetrieb der Tafel kann das K.Bert zumindest mögliche Überschüsse an den Trägerverein weiterreichen, der sie wiederum für seinen sozialen Auftrag einsetzt, Bedürftige mit Lebensmitteln zu versorgen. Zudem hat der Verein im Laufe der Jahre zahlreiche frühere 1,50-Euro-Jobber, die sich zum Bürgergeld etwas hinzuverdient haben, in Festanstellungen übernommen. Es ist auch dieser tiefere Sinn hinter seinem Job, der Jens Tönnies nach Jahrzehnten in anderen Küchen dazu bewegte, noch einmal neu anzufangen. Was er noch als seinen Auftrag begreift, ist auch offizielle Linie des Niedersächsischen Kultusministeriums, das grundsätzlich formuliert: Bei einem gemeinsamen Mittagessen und einer guten Schulverpflegung gehe es auch um Ernährungsbildung, „Kinder und Jugendliche sollen bewusst essen und trinken und sich mit Fragen einer gesunden Ernährung auseinandersetzen.“

Mittlerweile gehört das warme Mittagessen an Schulen in Hildesheim weitgehend zum Standardangebot. Das gilt für die kirchlichen wie Andreanum und Mariano-Josephium, vor allem aber auch für die städtischen Einrichtungen. Lediglich an drei von 25 städtischen Schulen, an denen es noch keinen Ganztagsbetrieb gibt, fehlt das Mittagsangebot noch: an der Grundschule Johannes, der Martinus- sowie der Elisabethschule. Damit Kinder aus Familien mit weniger oder keinem eigenen Einkommen nicht außen vor bleiben, übernehmen Jobcenter oder Sozialamt die Kosten über das Bildungs- und Teilhabepaket.

Das K.Bert verliert jetzt als Kunden die Grundschule Achtum, da die als Außenstelle der Didrik-Pining-Grundschule künftig auch von deren Caterer beliefert wird. Annelore Ressel hätte gerne beide Schulen im Paket übernommen, „aber das schaffen wir nicht“, sagt sie. Dafür habe sie nicht genug Personal, und die Küche sei schon bei der jetzigen Auftragslage fast zu klein. Eigentlich, sinniert die Tafel-Chefin, würde sie gerne andere, größere Räume anmieten, um mehr Kapazitäten zu haben. „Aber das ist Zukunftsmusik.“

So weit denkt Jens Tönnies noch nicht. Seine nähere Zukunft sieht erst einmal so aus: In den Herbstferien hat er eine Woche Urlaub, dann wechselt er sich mit seinem Kollege Marcel Moch ab. Ganz schließen sie nicht, denn auch wenn die Schulen dicht sind, beliefern sie ja noch die Kitas. Und da sind auch noch die Senioren aus Itzum, die mittags im dortigen Bürgerhaus zusammenkommen und 25 Essen bekommen. Für die ist an diesem Dienstag auch das Putengeschnetzelte bestimmt gewesen. „Die mögen die Klassiker“, sagt Tönnies über die älteren Kunden. Zum Auftakt der Lieferungen hatte er Tafelspitz gemacht, da seien sie „ganz aus dem Häuschen gewesen.“ Gemüse essen sie auch gerne oben in Itzum.

Wer weiß, vielleicht kann er ja auch die Schulkinder noch daran gewöhnen. Vielleicht kommen ja die Tage, an denen sie mehr wollen als Erbsen, Möhren und Mais.

Text und Fotos (4): Archiv der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 05.10.2024