Mit einem Großaufgebot rückte die Hildesheimer Polizei 1980 am Gymnasium Andreanum an
Von Sven Abromeit
Die erste Meldung klang noch wie ein verfrühter Aprilscherz: Unter der Überschrift „Streifenwagen hinter Gittern“ informierte die HAZ ihre Leser am 19. März 1980 über einen vermeintlichen Schülerstreich am Andreanum, durch den eine Verkehrskontrolle gestört wurde. Es folgte ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte, sechs Schüler wurden in Gewahrsam genommen. Die öffentliche Empörung brach sich Bahn, in Leserbriefen fielen Begriffe wie „Kampfgaseinsatz“ oder „Freiheitsberaubung“. Was war tatsächlich geschehen?
Angehörige der „Generation Z“ mögen heute darüber die Nase rümpfen, aber früher standen der Erwerb des Führerscheines und das erste eigene Auto auf der Wunschliste junger Menschen unangefochten auf Platz 1, wurde doch der begehrte Eintritt in den Club der Erwachsenen mit dem erreichten Grad der eigenen Motorisierung gleichgestellt. Das galt auch und vielleicht sogar besonders für die älteren Andreaner-Jahrgänge, Parkplätze waren während der Schulzeiten in der Umgebung jedenfalls Mangelware, Anwohner konnten davon ein Lied singen, Falschparken inklusive. Die kurzfristig erscheinende Schülerzeitung „Pusteblume“ hatte ihre Leser dazu mit hilfreichen Tipps versorgt und vor den regelmäßigen Kontrollfahrten der „Bullen“ zu warnen gewagt und damit den Argwohn der örtlichen Polizei auf sich gezogen.
An jenem Freitagvormittag war wieder eine Streife vor Ort, um Knöllchen zu verteilen. Eine alarmierte Schülerin versuchte, durch die Fahrt auf den Hof des Kirchenkreisamtes dem Ticket zu entgehen, doch die Beamten folgten ihr unbarmherzig. Zurück kamen sie dann aber nicht mehr, denn ein den Vorfall beobachtender Mitschüler hatte aus Protest das Tor zur Klosterstraße verschlossen. Die Nachricht verbreitete sich während der großen Pause wie ein Lauffeuer, bald veranstalteten über 100 solidarische Teenager einen Sitzstreik.
Der Aufruf des Direktors, in die Klassenräume zurückzukehren, verhallte ungehört, da viele gar keinen Unterricht hatten, die reformierte Oberstufe ließ grüßen. Die ergrimmten Beamten griffen einen „Rädelsführer“ zur Verhaftung heraus und setzten Tränengas ein, doch so ließ sich der Wille der Demonstrierenden nicht brechen, Verstärkung wurde angefordert.
Zeitzeuge Andreas Görg erinnert sich an die dramatischen Minuten, die folgen sollten: „Ich war gerade unterhalb des Michaelishügels in Richtung Schule unterwegs, als aus mehreren Richtungen die Fahrzeuge der Polizei an mir vorbeirasten. Mein erster Gedanke war, dass es sich wohl um einen Banküberfall oder ein anderes Schwerverbrechen handeln müsse. Oberhalb der alten Klostermauer standen einige Lehrer und beobachteten aufgebracht und mit geröteten Köpfen das Schauspiel.
Auch ein Sohn des stellvertretenden Schulleiters soll an der Aktion beteiligt gewesen sein, was den Vorfall aus Sicht des Lehrers und Vaters sicher besonders prekär gemacht haben dürfte. Da die Streikenden den Aufforderungen der Polizei, den Weg freizugeben, noch immer nicht nachkamen, wurden einige schließlich mit Gewalt herausgegriffen, in den Mannschaftswagen gebracht und zum Präsidium abtransportiert. Die Schüler kamen später am Tag wieder frei und mussten einige Stunden Sozialarbeit leisten.
Vor allem der massive Gebrauch der „chemischen Keule“ gegen die Gymnasiasten führte zu Befremden, nach den Worten von Polizeidirektor Günter Helaß damals „das erste Mittel körperlicher Gewalt noch vor dem Gummiknüppel“. Aber auch das Verhalten der Jugendlichen wurde kritisiert, die „unreifen Schüler aus gutem Hause“ hätten ihre Lektion samt geröteter Augen mehr als verdient. Die Staatsanwaltschaft fand schließlich eine alle Beteiligten befriedigende Lösung und stellte das Verfahren ein.
Folgende Generationen waren friedfertiger gestimmt, so vermachten die Abiturienten des Jahres 1991 ihrer Alma Mater den „Stein der Weisen“, der immer noch das Schultor ziert. Legendär der frühe, eher unfreiwillige Einsatz einer damaligen Mitschülerin in Sachen Mobilitätswende: Beim überstürzten Aufbruch in eine selbst bewilligte Freistunde löste sie in ihrem Automatikwagen den Kickdown aus, bevor der Gangwahlhebel umgestellt war. Sechs vor ihr parkende Fahrzeuge wurden bei der anschließenden Kaltverformung wie eine Ziehharmonika zusammengeschoben, die Rückkehr in den Erdkunde-Leistungskurs war entsprechend peinlich. Heutige Klima-Aktivisten müssten für einen ähnlich durchschlagenden Erfolg eine Menge Kleber einsetzen.