Die Suche nach einem neuen Direktor der Schule geriet vor knapp 50 Jahren zum bildungspolitischen Skandal. Erst offene Briefe an Rat und Minister ebneten dann Heinz Pust den Weg.

In der bald 800-jährigen Geschichte des Andreanums gehört die Ära Martin Boyken zu den herausragendsten. Zehn Jahre nach Kriegsende als Oberstudiendirektor an das humanistische Gymnasium berufen, sah er sich mit der Aufgabe konfrontiert, der immer noch durch Notquartiere vagabundierenden Schule eine feste Unterkunft zu verschaffen. Martin Boyken war CDU-Mitglied, als die Pläne Dieter Oesterlens für das Michaeliskloster wieder in den Schubladen zu verschwinden drohten, kandidierte er 1959 für den Rat und wurde auf Anhieb zum ehrenamtlichen Oberbürgermeister gewählt. Drei Jahre später bezogen die Andreaner ihr neues Heim am Hagentorwall. Da es der notorisch klammen Kommune danach nicht gelang, eine Sporthalle zu errichten, dachte der Chef laut über einen Wechsel des Schulträgers nach, schließlich war er Vorsitzender der Landessynode. Der Prozess war zwar nicht abgeschlossen, als Boyken im Sommer 1974 in den Ruhestand trat, die HAZ bilanzierte dennoch, dass sein Nachfolger an ihm gemessen werden würde. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Suche, das ewige Hin und Her in den Mühlen der Ministerialbürokratie geriet zur Nervenprobe für alle Beteiligten, die Besetzung der Stelle wurde zum Politikum.

Dabei gab es mit Heinz Pust einen geeigneten Kandidaten im Kollegium, der die Leitung zunächst kommissarisch übernahm. Der Studiendirektor war nach dem Abitur zur Wehrmacht eingezogen worden und erst 1953 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Studium und Referendariat hatte er in Berlin absolviert, kam dann kurz vor dem Mauerbau an die Innerste. Im Kreis von Pädagogen und Schülern hatte er sich Respekt erworben, galt als Favorit. Seine Bewerbung hatte nur einen Makel: Pust besaß kein Parteibuch. In den Tagen der SPD-Kultusminister Peter von Oertzen und Ernst Gottfried Mahrenholz wurden freiwerdende Positionen aber bevorzugt an Genossen vergeben, Vertreter anderer Richtungen warfen ihren Hut oft gar nicht erst in den Ring. Und so dachte man in Hannover an einen Regierungsdirektor aus den eigenen Reihen, der Anfang der Sechzigerjahre tatsächlich fünf Jahre im Schuldienst gewesen war. In der Domstadt reagierte man empört, Personal- und Gesamtelternrat verfassten offene Briefe, forderten vom Minister, sein Versprechen von mehr Demokratie einzulösen, das lokale Votum zu akzeptieren. Der Kontrahent zog sich zunächst zurück, um nach der Landtagswahl wieder aufzutauchen, die Ausschreibungsrochade des zuständigen Referenten düpierte die Hildesheimer Delegation, die der ahnungslose Mahrenholz gerade mit einigen Hoffnungen verabschiedet hatte. Das Tauziehen dauerte 15 Monate, dann hielt Heinz Pust die Ernennungsurkunde in Händen – gerade rechtzeitig zur 750-Jahr-Feier der Schule.

In den ihm verbleibenden acht Jahren an der Spitze gelang es Pust zum einen, die Sporthalle zu realisieren, zum anderen wurde aus der Bürgerschule der Stadt eine evangelische Bildungsstätte. Die Landeskirche war bereits für den Betrieb des Schülerheims zuständig, die Übernahme der Einrichtung nur konsequent. Schon Vorgänger Boyken hatte die Kommune mit dem Kostenargument zur Übergabe animieren wollen, um 350.000 Mark sollte der Haushalt per anno entlastet werden. Ein halbes Jahrhundert später muss nun auf dem Michaelishügel umfassend saniert werden. Den eingesparten Millionenbetrag hat die Verwaltung leider nicht auf die hohe Kante gelegt, doch steht die Hälfte der Immobilien auf öffentlichem Grund, erwartet der Landesbischof eine angemessene Beteiligung. Die Verhandlungen ziehen sich seit Jahren, doch diesen Kummer ist man am altehrwürdigen Andreanum gewöhnt. Vielleicht sollte mal wieder ein Direx für den Rat kandidieren, um der Sache Schwung zu verleihen?

Text und Foto (1): Archiv der Hildesheimer Zeitung vom 4.11.2024