Damals in Bayern war Frank Buchenau dem Terroristen aus Hildesheim schon einmal sehr nahe. Zumindest räumlich gesehen, denn Rolf Heißler, der spätere verurteilte Schwerverbrecher aus Hildesheim, hatte Ende der 1960er-Jahre gemeinsam mit Brigitte Mohnhaupt und weiteren Aktivisten in München die „Kommune Metzstraße“ gegründet. Hier ging die linksradikale Szene der Landeshauptstadt ein und aus. Gemeinsam gründete man die linksradikale Gruppe „Tupamaros München“, die auf den bewaffneten Kampf setzte und mit einer Reihe von Brand- und Sprengstoffanschlägen auf Polizei und Justizgebäude auf sich aufmerksam machte. „Ich habe während meiner Zeit in München 50 Meter weiter in der Sedanstraße gelebt“, erzählt Buchenau, der heute unter anderem Geschichte an der Michelsenschule unterrichtet.
Die beiden trafen sich nie, denn dazwischen lagen nicht nur 50 Meter, sondern auch viele Jahre. Aber vielleicht erklärt es, warum Historiker Buchenau irgendwann ein erhebliches Interesse rund um den in Hildesheim geborenen Terroristen Heißler entwickelte. Gemeinsam mit dem pensionierten Berufskollegen Karl Ulrich Gutschke, der zuletzt am Goethegymnasium unterrichtete, machte er sich auf die Suche nach Spuren von Rolf Heißler und seiner Familie. Von Gutschke kann man sagen, dass er noch deutlich dichter an Heißler und seiner Familie dran war. Der 75-Jährige ist nur ungefähr einen Monat jünger als Heißler, der am 3. Juni 1948 als Rolf Gerhard Leberwurst in Bayreuth geboren wurde und im Alter von zwei Jahren mit der Familie nach Hildesheim zog. Die Familie lebte damals in der Küchenthalstraße 64.
Beide Väter unterrichteten damals am Josephinum
Beide Väter unterrichten damals am Josephinum. „Georg Heißler war in der 8. Klasse mein Latein- und Griechischlehrer“, erzählt Gutschke. Weil beide Väter zur erweiterten Schulleitung gehörten, habe es auch eine Reihe von gegenseitigen Besuchen gegeben. Rolf Heißler hingegen habe er nur einige Male gesehen. Vielleicht auch deshalb, weil der Gleichaltrige das Andreanum besuchte. Trotzdem reichte es aus, um ein Grundinteresse zu wecken. „Rolf Heißler hat mich mein ganzes Leben begleitet“, sagt Gutschke.
Durch den Tod Heißlers am 18. Mai 2023 wurde das Interesse mehr als zuvor geweckt – und gemeinsam begaben sich Gutschke und Buchenau auf eine bundesweite Spurensuche, die vor allem Hintergründe aufdecken sollte. „Nach Rolf Heißlers Tod hat mich die Frage beschäftigt, wie er zum Terroristen geworden ist“, sagt Gutschke etwa. Als er gehört habe, dass Heißler innerhalb der RAF als eines ihrer brutalsten Mitglieder galt, sei es ihm kalt den Rücken heruntergelaufen. „In der Presse las man nach seinem Tod viel über seine terroristische Aktivität, aber nichts über seinen Vater und die Rolle, die dieser bei der Hinwendung zum Terrorismus möglicherweise gespielt hat“, so Gutschke.
Georg Heißler war ein hoher Nazi-Funktionär
Gemeinsam fanden die beiden Lehrer über Archivstudien heraus, dass der Vater des späteren Terroristen ein höherer Funktionär bei den Nationalsozialisten war. Vor dem Krieg arbeitete er als Georg Leberwurst im Haus der Deutschen Erziehung in Bayreuth, wo er Geschäftsführer der Reichsfachschaft für Höhere Schulen im Nationalsozialistischen Lehrerbund war. Bei dem Lehrerbund habe es sich um eine verbrecherische Organisation gehandelt, meinen auch die beiden Lehrer. Weil er die Nazi-Ideologie in die Schulen brachte und damit später einen erheblichen Teil zu millionenfachem Leid und Sterben beitrug. Um seine Verantwortung zu verschleiern nannte sich Georg Leberwurst nach dem Krieg in Georg Heißler um.
All dies dürfte auch Wirkung auf seinen Sohn Rolf gehabt haben. Offenbar störte dieser sich schon früh daran, dass vielerorts noch Altnazis an den Schaltstellen saßen, nicht nur am häuslichen Küchentisch. Rolfs Vetter Helmut Brückner, der später Politiker bei den Grünen wurde, habe über ihre gemeinsame Rebellion in den frühen Sechzigern berichtet. „Der Ärger über das Schweigen und die Spießigkeit ihrer Eltern schweißte damals beide zusammen“, sagt Gutschke. Brückner wurde zum konstruktiven Politiker, Heißler zum Mörder. Wieso? „Ich glaube, die Antwort auf diese Frage finden wir im psychologischen Bereich, nicht im politischen“, sagt Gutschke. Ihn selbst überzeugten solche Erklärungsversuche am meisten, die die Entstehung von Gewaltbereitschaft in der frühen Kindheit verorten. Er selbst kann sich gut daran erinnern, dass Vater Heißler, sein Lehrer, im Unterricht zu äußerst brutalen Darstellungen tendierte. Etwa dann, wenn es um die Schilderung von Schlachten ging. „Ich erinnere mich, dass er die Schlachten des Cäsar damals in für Achtklässler unangemessen brutaler Art schilderte, so dass mir im Unterricht schlecht wurde“, berichtet Gutschke.
Rolf Heißler trug den Spitznamen „Fury“ – die Furie.
Heißlers Sohn Rolf, über viele Jahre einer der meistgesuchten Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, war sogar innerhalb der RAF für seine Brutalität bekannt. Er trug den Decknamen „Fury“ – die Furie.„Wahrscheinlich war er der Mann fürs Grobe“, vermutet Buchenau.
Bilder aus Rolf Heißlers Hildesheim-Zeit sind rar. Eins hat Achim Balkhoff, früherer Scharnhorstschüler und heutiger Vorsitzender des VfV Borussia 06 Hildesheim, schon kurz nach Heißlers Tod am 18. Mai 2023 ausgegraben. Die Aufnahme ist von 1967 und erschien in den Schülerzeitungen Forum-Scharnhorst und Ecce. Ecce war die Publikation des Arbeitskreises Hildesheimer Schulen. Auf dem Bild posiert Heißler in Gangsterpose – schwarze Kleidung, Zigarette im Mundwinkel – in einem Park. Foto: Achim Balkhoff -Archiv
Die bekanntesten Taten der RAF waren die Ermordung des Generalbundesanwalt Siegfried Buback, des Vorstandssprechers der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, und die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Als die Entführung der Lufthansa Boeing 737 „Landshut“ durch ein befreundetes palästinensisches Kommando scheiterte, ermordeten die Entführer Schleyer. Später erklärte RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, dass Heißler Schleyer getötet habe. Allerdings konnten die Ermittlungsbehörden dies nicht beweisen. Über Mittelsmänner stand Heißler vor vielen Jahren auch mit der HAZ in Kontakt – allerdings ohne sich konkret zu früheren Vorgängen oder Vorwürfen zu äußern.
Bei einem Schusswechsel mit der Polizei am 9. Juni 1979 in Frankfurt war Heißler schwer verletzt worden. Ein Gericht verurteilte ihn später zu lebenslanger Haft – auch deshalb, weil er zuvor an der niederländischen Grenze zwei Polizeibeamte erschossen hatte. „Augenzeugen berichteten, dass er ein ganzes Maschinenpistolenmagazin abfeuerte und einen Überlebenden am Ende mit einem Genickschuss hinrichtete“, berichtet Buchenau. Nach 19 Jahren Haft wurde Rolf Heißler am 26. Oktober 2001 auf Bewährung entlassen. Seit dieser Zeit lebte er im Frankfurter Gallusviertel. Reue über seine Taten äußerte der frühere Andreaner bis zu seinem Tode nicht.
Text und Fotos (3): Archiv der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 08.7.2024