Martin Boyken war von 1955 bis 1970 Oberstudiendirektor des Gymnasiums Andreanum. Doch er war auch Ehrenbürger und Ehrenringträger der Stadt Hildesheim, Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und der Namensgeber einer Hildesheimer Straße, des Martin-Boyken-Rings in Itzum. Wer war dieser Mann und was machte sein Lebenswerk aus, mit welchem er sich diese Ehrungen verdiente?
Martin Boyken wurde am 1. Februar 1908 in Hamburg als Sohn eines Gewerbeschuldirektors geboren und wuchs in einem bürgerlichen, aufgeklärt atheistischen Umfeld auf. Nach seinem Abitur an der Lichtwark-Schule studierte er in Hamburg und Marburg evangelische Theologie, Germanistik, Philosophie und Geschichte. Im Anschluss an sein Studium nahm er eine Lehrtätigkeit in Hamburg an. In seiner Jugendzeit fand er auch zu einem ausgeprägten christlichen Glauben.
Die Zeit des Nationalsozialismus hatte einschneidende Auswirkungen auf den Lebensweg Boykens. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten instrumentalisierten diese auch immer mehr die Kirche, um ihre radikal antisemitische, rassistische, ultranationalistische und antipluralistische Ideologie zu verbreiten. Die Bekennende Kirche stellte sich dieser Instrumentalisierung der Kirche entschieden entgegen und damit auch den totalitären Führungsanspruch der Nationalsozialisten in Frage. Als Mitglied dieser wurde Martin Boyken als „politisch unzuverlässig“ eingestuft und dementsprechend 1936 entlassen. Nach einer kurzen Anstellung an einer Privatschule diente Martin Boyken ab 1939 als Soldat bei der Marineartillerie und geriet 1944 in Algerien in Kriegsgefangenschaft. Aus dieser kehrte er erst 1947 zurück und zog zunächst in die Hansestadt Stade, wo er eine Anstellung als Studienrat am Gymnasium Athenaeum annahm. 1955 kam er dann nach Hildesheim, wo er Oberstudiendirektor des Gymnasium Andreanum wurde.
Martin Boyken (r.) mit Stadtbaudirektor Haagen, 1974
Als Oberstudiendirektor begleitete Martin Boyken eine wegweisende Zeit des Gymnasiums, denn nachdem das an der Goslarschen Straße gelegene ehemalige Schulgebäude bei der großflächigen Zerstörung Hildesheims zum Ende des Zweiten Weltkrieges am 22. März 1945 vollständig zerstört worden war, stand die Schule auch zehn Jahre nach dem Krieg noch ohne Schulgebäude da. Nach intensivem Einsatz Boykens wurde 1959 mit dem Bau des heutigen Schulgebäudes an der bekannten Lage am Hagentorwall begonnen; Bauabschluss und Einweihung erfolgten 1962. Boykens Führungsstil als Schuldirektor wurde von Schülern sowie Kollegium als verantwortungsbewusst, kooperativ und vertrauensvoll beschrieben. Nach seiner Pensionierung als Schulleiter 1970 stand Boyken der Schule noch weitere vier Jahre zur Verfügung und wurde dementsprechend erst 1974 in den Ruhestand entlassen.
Neben seiner Tätigkeit als Oberstudiendirektor hatte Boyken jedoch eine für die Stadt noch viel prägendere Position inne. Von 1959 bis 1964 sowie von 1968 bis 1972 war er Oberbürgermeister Hildesheims. 1964 bis 1968 fungierte er als Bürgermeister (Stellvertreter des Oberbürgermeisters). 1959 hatte er das Amt zunächst interimsweise für ein Jahr übernommen, wurde dann aber 1960 wiedergewählt. Das Oberbürgermeisteramt gestaltete sich in den 60er- und 70er-Jahren noch deutlich anders als man es heute kennt. Es war ein Ehrenamt und fokussierte sich vorrangig auf den Vorsitz des Rates und die Repräsentation der Stadt; die Leitung der Stadtverwaltung führte der Stadtdirektor aus. In seine Amtszeiten fielen die letzten Beseitigungen der Kriegszerstörungen, der Ausbau der Stadt und die Entstehung neuer Stadtviertel, der Bau des Kennedydamms und die Bestrebungen gegen eine geplante Niedersächsische Gebiets- und Verwaltungsreform.
Auch in der evangelischen Kirche engagierte sich Martin Boyken. Schon in Stade wurde Boyken im Mai 1953 in die 15. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover gewählt. Die Landessynoden der evangelischen Kirche in Deutschland sind die höchsten beschlussfassenden Gremien der Landeskirchen und tragen eine wichtige Funktion in der Entscheidungsfindung und Steuerung der Kirche auf Landesebene. Von 1959 bis 1973 war Boyken ununterbrochen der Präsident der Synode der hannoverschen Landeskirche. 1973 wurde Boyken zum Präsidenten der 5. Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) gewählt. Dies ist eines der höchsten Ämter, die man überhaupt in der evangelischen Kirche erlangen kann. Neben seinem Engagement in der Landessynode war Boyken auch mehrere Jahrzehnte Teil des Kirchenvorstands der Hildesheimer Kirchengemeinde St. Michaelis.
Jasper Sandvoss, Q1 (2022/2023)
Seine Tätigkeiten in Politik, Schule und Kirche waren jedoch immer noch nicht alles, für das Boyken Zeit aufwand, er war auch schriftstellerisch aktiv. Seine literarische Karriere begann er mit den beiden Debütveröffentlichungen Torso des Jahres (1936) und Wappen der Städte (1938). In den frühen 50er-Jahren kamen weitere Gedichtbände sowie eine Studie über die Gemälde im Regierungsgebäude der Stadt Stade hinzu. Ein weiteres Interessengebiet Boykens waren Fliesen und Kacheln und ihre Geschichten. Diese sammelte Boyken zudem in seiner Freizeit. Auf-grund seiner Ämterfülle und mangelnder zeitlicher Kapazitäten konnte er sich diesen jedoch nie in gewünschtem Ausmaß widmen. Boykens letzte Buchveröffentlichung war das Märchen Wie Peter Menken den Stader Schlüssel stahl. Ein Fastnachtsmärchen (Stade 1957). Zudem veröffentlichte er 1955 das Weihnachtsspiel Die große Enttäuschung. Bevor er nach Hildesheim kam, schrieb Boyken auch für das Reisemagazin Merian, vorrangig über Sehenswürdigkeiten, die er auf Reisen besucht hatte.
Martin Boyken war mit Käte Boyken verheiratet. Zusammen hatten sie fünf Kinder und mindestens 13 Enkelkinder. Am 12. September 1983 erlag Boyken einer langwierigen und schweren Krankheit. Bis zu seinem Tod entgegnete er dieser jedoch mit „große[r] Tapferkeit“ und seinem „tiefe[n] Glauben“, wie es die Hildesheimer Allgemeine Zeitung am nächsten Tag schrieb. Dass der Glaube Martin Boyken bis zum Ende begleitete, lässt sich auch an dem von ihm verfassten und nach seinem Tod gefundenen Aufsatz „Warum ich Christ bin“ erkennen.
Martin Boyken wurden für sein weitreichendes Engagement für die Gesellschaft ausgiebig geehrt und gewürdigt: So erhielt er den Ehrenring der Stadt Hildesheim, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Auch wurde nach seinem Tod der Martin-Boyken-Ring in Itzum nach ihm benannt. Für den Historiker Martin Overesch gehört Martin Boyken zu den großen und bedeutendsten Männern der Hildesheimer Nachkriegszeit.
Jasper Sandvoss, Q1 (2022/2023)