Wenn viele derzeit das Gefühl haben, dass irgendwas falsch läuft in unserem Wirtschaftssystem, dann hat Patrick Kaczmarczyk eine klare Meinung dazu, was. Der Sozialökonom arbeitet für eine bessere Gesellschaft. In vielen Städten der Welt, in vielen Projekten. Um davon zu erzählen, ist er in seine Heimat Hildesheim zurückgekommen.
Von Kathi Flau
Ein guter Tag für Moderatoren ist es, wenn es keine Nachrichten vorzulesen gibt, in denen der Name des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull vorkommt. Fiese Stolperfalle. Im Scheinwerferlicht der großen Bühne des Audimax, vor hunderten Menschen, haben die beiden Moderatoren einen dieser guten Tage erwischt. Was nicht selbstverständlich ist, denn sie kündigen hier Vorträge junger Wissenschaftler an, die in allen Ecken der Welt daran arbeiten, physikalische, chemische oder auch sozialökonomische Probleme zu knacken.
Sie alle, also die Wissenschaftler, sind Absolventen des Andreanums, und sie sind zum Science Slam auf Einladung ihrer alten Schule noch einmal nach Hildesheim gekommen. Einer von ihnen sogar aus Atlanta, USA, wo er mittlerweile als Professor unterrichtet, ein anderer aus Genf in der Schweiz. Ein toller Abend, spannende Vorträge, das Publikum amüsiert sich und staunt. Und dann taucht sie doch auf, die fiese Stolperfalle. Nicht in Form des Vulkans, sonders beim Namen Patrick Kaczmarczyk. Oje. Kacz-mar-czyk. Durchatmen und hinter sich bringen: „Und hier kommt er, unser letzter Science Slammer am heutigen Abend: Patrick... Katschmartschik!“ Na bitte. Applaus, geschafft.
Moderatoren werden sich an seinen Namen gewöhnen müssen. Der 34-jährige Hildesheimer hat in Sheffield promoviert, Bücher geschrieben und als Berater der Vereinten Nationen in Genf gearbeitet. Er hat das neue Wirtschaftsmagazin Surplus mitbegründet, das sich laut eigener Definition „um die Interessen der großen Mehrheit und nicht die der Reichsten dreht“. Er hat dem Nachrichtenmagazin Spiegel Interviews gegeben und auch dem Papst schon ein paar Fragen beantwortet. Kaczmarczyk gilt längst als Experte, wenn es um die globale Wirtschaft geht und die tiefe Krise, in der sie steckt. Und natürlich um die Frage, ob – und wenn ja, wie – man da wieder rauskommt.
„Wir sehen ja, dass unser wirtschaftspolitisches Modell für viele Menschen nicht funktioniert“, sagt Patrick Kaczmarczyk. Nicht auf der Bühne am Abend, sondern am Morgen danach, in einem kleinen Café. „Da gibt es Leute, die in extremer Armut leben – und das, obwohl sie zwei oder drei Jobs haben. Das dürfte es in einem Land wie Deutschland nicht geben. Damit beschäftigt sich die Politik meines Erachtens viel zu wenig.“ Bei vielen Themen, sagt er, hängen wir in Deutschland an Theorien fest, die „im Rest der Welt gefühlt seit 50 Jahren tot“ sind. Dabei hat man im Ausland gar nicht unbedingt die bessere Politik. Aber die Debattenkultur ist offener. Die Art, wie man über Dinge redet, wie man sie angeht – und das ist ja immer schon die halbe Miete.
Er selbst redet klar und leise. Er trägt einen hellen Rollkragenpullover, eine dunkle Hose, nicht mehr als das Notwendige, von seiner Uhr vielleicht abgesehen. Ein bisschen müde wirkt er, ein bisschen abgekämpft, aber gleichzeitig voll da. In Hildesheim ist er nur für ein paar Tage, dann geht es für ihn wieder zurück nach Berlin, wo er seit vielen Jahren lebt. Aber hier, in seiner Heimatstadt, wo seine Familie wohnt, er alte Freunde trifft und beim VfV 06 in der zweiten Mannschaft Fußball spielt, hier kommt er immer ein bisschen zur Ruhe. „Ich glaube, wenn Berlin für meine Arbeit als zentraler Ort nicht so wichtig wäre, hätte ich Hildesheim nie verlassen“, sagt er. „Ich finde die Stadt toll zum Leben.“
Nun ist sie toll zum Zurückkommen. Denn die Wahrheit ist, dass auch viele der alten Freunde inzwischen woanders leben. Felix, den er schon als Junge kannte, mit dem er zusammen zur Schule ging und das eine oder andere ausfraß. Bis sie eines Tages fanden, sie müssten ihr „Leben in den Griff kriegen“, wie Kaczmarczyk es ausdrückt. Da wechselten sie dann beide aufs Andreanum. „Da waren wir so 13, 14“, sagt er. Und trinkt ungerührt einen Schluck Kaffee, so als wäre ihm gar nicht klar, wie bezaubernd und urkomisch das Bild ist, das er da gerade malt: Zwei 13-Jährige, die in irgendeiner Schulhofecke stehen und beschließen, nun aber endlich ihr Leben in den Griff zu kriegen.
Einige Freunde sind auch hiergeblieben. Jane Zlatkov zum Beispiel, der auch beim VfV spielt. „Wir waren Nachbarn, seit wir fünf Jahre alt waren“, erzählt Patrick Kaczmarczyk. „Wir haben im Verein zusammen gekickt und neben dem Training jeden Tag von früh morgens bis spät abends Fußball gespielt.“ Er lacht. Was für eine Freude, als Zlatkov ihn vor der Saison anrief und fragte, ob er hier und da mal mitspielen könnte, wenn es zeitlich passt. „Da hatte ich enorme Lust drauf“, sagt Kaczmarczyk. Sie haben ihn nicht vergessen, die alten Freunde. Sowas ist ihm wichtig. Sowas lässt die Arbeit für einen Moment in weite Ferne rücken.
Im nächsten Moment aber meldet sie sich schon wieder, die Arbeit. Sie ruft auf dem Handy an, um genau zu sein. Es geht um eine Studie zum Ausbau der Stromnetze, die Kaczmarczyk erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit dem Mannheimer Ökonomen Tom Krebs veröffentlicht hat. Die These: Ohne übermäßige Belastung der Kunden ist der Ausbau nur bezahlbar, wenn der Staat bei der Finanzierung die Federführung übernimmt. Private Geldgeber würden die Netzbenutzungsgebühren dagegen ohne Not in die Höhe treiben, um selbst daran zu verdienen. Rendite heißt das Zauberwort.
Text und Fotos (2): Archiv der Hildesheimer Zeitung vom 25.01.25