Vor knapp 21 Jahren hat Joana Mallwitz am Andreanum das Abi gemacht und danach eine Traumkarriere hingelegt – gestern dirigierte sie das Schulorchester.
Von Ralf Neite
Bis vor 21 Jahren ist Joana Mallwitz noch jeden Tag durch diese Flure gegangen. Dann das Abitur, der Abschied vom Andreanum und von Hildesheim – und der Beginn einer Karriere als weltweit gefeierte Star-Dirigentin. Am Freitagnachmittag ist sie zum ersten Mal an ihre alte Schule zurückgekehrt, das 800-jährige Bestehen des Andreanums hat sie her gelockt. Was ihr erster Gedanke war, als sie das Gymnasium betreten hat, will ein Schüler von ihr wissen. Mallwitz überlegt nur kurz: „Mir war gar nicht klar, wie genau ich mich an diese Fußbodenfliesen erinnern kann.“
Aber natürlich ist sie nicht von Berlin angereist, um die Fliesen zu bewundern. Noch bevor sie von Rektor Dirk Wilkening eine Führung bekommt, steht sie schon im Telemannsaal. Hier hat sie früher selbst im Schulorchester gespielt, und jetzt ist sie da, um mit dem Hauptorchester zu proben. Dvoraks „Slawische Tänze“ und der dritte Satz aus Bruckners siebter Sinfonie – puh, da müsste sich auch ein Profiorchester strecken.Tatsächlich wirkt Mallwitz ziemlich exakt so, wie man sie aus den Proben-Sequenzen im Filmporträt „Momentum“ kennt. „Mensch, ich bin noch ein bisschen überwältigt und aufgeregt“, begrüßt sie die 40 Jugendlichen und einige Erwachsenen, die das Orchester verstärken. Aber dann geht es gleich los, ganz wie bei den Profis: Mallwitz vergeudet keine Zeit durch Smalltalk, sondern stürzt sich direkt in die Arbeit. Und die besteht aus Finetuning.
„Lasst uns erstmal nur die ersten Takte nehmen“, schlägt sie vor und krempelt die Ärmel ihres sportlichen, schwarzen Shirts hoch: „In den ersten Noten muss die gesamte Energie schon drin sein.“ Nur: Wie macht man das? Da sind natürlich die technischen Details, die Betonungen und Kontraste, „ein bisschen knackiger, ein bisschen härter“ oder „eine gehörige Portion Pfeffer in all euren Einsen“. Doch bald kristallisiert sich heraus, dass es in der Musik um mehr geht als das.
Falsche Töne sind erstmal egal“, sagt Mallwitz und fordert etwas ein, das viel schwerer ist, als die richtigen Noten zu spielen: „Denkt als Gruppe: Wie soll es klingen?“ Vor jedem Ton, erklärt sie, muss eine Vorstellung existieren, wie er klingen soll. Und dabei hilft das Atmen: „Atmet mit mir, mit meinen Armen, mit meinem Körper.“
Manchmal lobt sie die Schülerinnen und Schüler, aber das hier ist kein Kuschelkurs. Es wirkt so, als ob es für diese Frau kein Sparprogramm gibt, zumindest in der Musik. Da geht es immer um alles. „Ich bin nicht so ganz glücklich“, sagt sie einmal. „Im Moment ist es so, dass ihr langsamer werdet, wenn ihr leiser werdet. Das muss wie ein Uhrwerk sein.“ Zwischendurch ist aber auch mal ein Trost drin: „Takt 73 ist eine typische Stelle, die man mit jedem Orchester gut proben muss.“
Und Mallwitz selbst? Die 38-Jährige gibt alles, schmunzelt und lacht, wird ganz ernst, sodass sich Falten auf der Stirn bilden, holt bei den Crescendi weit aus und beugt sich in leisen Passagen ganz weit nach vorne, als wollte sie förmlich in das Orchester hineingreifen. Wahrscheinlich tut sie genau das. Am Ende, nachdem sie noch zwei Schülerinnen bei ersten Dirigier-Versuchen gecoacht hat, strahlt sie und holt ganz tief Luft: „Ihr seid großartig, ihr Lieben, bitte macht weiter so! Danke, dass ich mit euch arbeiten durfte.“
„Am Anfang war ich ein bisschen starstruck. Aber am Ende ist es – in Anführungszeichen – nur das Dirigat“, sagt die 17-jährige Cellistin Antonia Blaich nach der 60-minütigen Probe. Dana Dietrich, Flötistin, ist nicht ganz so cool: „Oh mein Gott, ich bin so super-sprachlos. Es ist eine große Ehre neben ihr zu stehen!“
Und wie fühlt es sich für Joana Mallwitz an, zu den Wurzeln zurückzukehren? „In Hildesheim und im Andreanum habe ich wirklich eine ganz glückliche und normale Kindheit gehabt“, erzählt sie. Für ihre musikalische Entwicklung sei vor allem der Orchesterleiter Wolfgang Volpers wichtig gewesen, der ihr zeigte, wie man mit dem Computer Noten schreibt. Das habe ihr bei eigenen Kompositionen sehr geholfen. Denn ursprünglich, verrät sie, wollte sie Komponistin von Filmmusik werden. Sie habe es sich aber anders überlegt: „Andere komponieren so viel besser.“
Text und Foto: Archiv der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 8.Februar 2025